2012-10-01

The Big Five oder Im Nahverkehr.


Taxidialog:
A: May I ask you a question?
B: Yes, please.
A: Is this your first time in a mini bus taxi?
B: No, it is not. But may I ask you back: why are you asking?
A: Because you are looking so tense. Relax, man!
B: I think it is part of a disposition.
A: You mean, you are an introvert?
B: Something of that kind, yes.
A: For me it is different.

Der Nahverkehr - das Gegenteil des weiten Felds, in einer so dicht organisierten Stadt wie Johannesburg. Alles muss rauschen, alles muss fahren, als gäbe es keine Sekunde, die ungefahren bleiben dürfte.
Das eigene Auto ist der Standard für den Status und die städtische Infrastruktur macht ihm geflissentlich Platz, bestätigt ihn, anstatt dem in Europa so stark malträtierten ökologischen Gewissen einzuheizen.
Das fremde Auto kommt danach und darauf schon das Taxi und vor allen Dingen, d.h. in der Frequenz am Häufigsten, in Form des Minibus-Sammeltaxis daher. Befände ich mich im Krügernationalpark statt in eGoli so entspräche das Sammeltaxi einem Mischwesen von Antilope, vielleicht auch Zebra und Rhinoceros (neologistisch Antilozebrino getauft). Zum einen, wegen der Sammeltaxi-Schwärme, die die Straßen bevölkern. Zum anderen wegen der Gefahren, die von ihnen ausgehen, wenn zu dicht bedroht und von außen heran gewagt. Im Innern ist es nicht minder gefährlich, wenngleich der schöne Schein trügen mag: denn Werkstätten sehen diese kraftvollen Gefährte der DIY-Gesellschaft nicht oft, die Ausbesserungen werden selbst vorgenommen, wobei eine funktionierende Stereoanlage und glänzende Felgen mehr Wert haben, als (kopf-)schützende Polster oder Sicherheitsgriffe (von Gurten ganz zu schweigen).
Ob ich innen schlafe, in das Telefon tippe oder Geld einsammele für die Mitfahrenden, im Hintergrund bleibt für mich stets das Risiko des Hineinfahrens in ein Straßenhindernis, sei es Blech oder Haut.
Dabei scheint die gewählte musikalische Richtung, das Genre der Fahrer, keinerlei Implikationen für den Fahrstil zu haben, obwohl ich in psychologischer Manier davon ausging: seichte 90er-Popklänge von Boygroups oder Liebesschnulzen zeichnen den sanften Fahrer aus; funky 70er-Blaxpoitation-Shaft-alikes, Kwaito-Sounds oder Housebeats lassen Raser und Draufgänger erahnen. Jedoch ist das Mitfahren immer gleich rasant, immer gleich spannend, immer mit dem Gefühl versehen, ich dürfe gar nicht die Augen auflassen, sollte meine Gebete sprechen und vertrauen.

Für diejenigen, die noch Regeln kennen: an jeder Ampel steht die Improvisation höher im Kurs als das Regelwerk. Während der deutsche Fußgänger in mir noch steht, wenn das Rot leuchtet, ziehen Massen anderer an mir vorüber, ungeachtet der Tiere der Großstadt. Lasse ich mich auf das Grün ein, so gilt nicht, das ich im Recht bin, denn die Antilozebrinos düsen um die Kurven und hupen mich beiseite, ohne von ihrem Gaspedal zu lassen, funkeln erstaunt und irritiert aus ihren Augen: was bilde ich mir ein? Vorbild zu sein für Kinder? Für Mütter? Oder für beide? Während dieser Fragen sehe ich eine Mutter mit ihrem auf dem Rücken gewickelten, schlafenden Kind im schmalen Zwischenraum von zwei Sammeltaxis verschwinden, dann wieder auftauchen, die Straße stoisch querend. Fassungslos und erleichtert, dass beide noch da sind und mit dem Gedanken im Kopf, dass diese Sekunden über Leben entscheiden, kann ich stockend und rückversichernd weiter gehen. Vor ungefähr zwei Wochen wurden zwei Schulkinder von einem Taxi ange- und überfahren, fällt mir noch ein.

Die Alternative zum Gewimmel des Straßengefechts: der Zug. Leuchtfeuer und Stolz der Städte, auf zwei Schienen gleitend, nur für ihn gemacht, ohne Dauer-Ampel-Stop-and-Go. Als ich die gewählte Station erreiche, am Ellis-Park-Stadion, verschließt mir Gitterwerk die Treppen. Das nahe gelegene Stadion war einmal im Jahr 2010 Spielstätte für die Weltmeisterschaft und in der Phase der Vorbereitung wurde bekanntlich sehr sehr viel an infrastrukturellen Maßnahmen ergriffen, um die Fan-Massen mobil zu halten. Dafür wurden auch Schienen verlegt, es gab sogar eine Strecke zum noch größeren FNB-Stadium nahe Soweto, an die sogenannte Soccer-City.
Aber vorbei das Jahr 2010 und vorbei die Zeit städtischen, FIFA-notwendigen Glanzes, der nur hergestellt wurde, so erscheint es mir, um zu gefallen. Dabei ist die Funktionalität städtischer formell-informeller Infrastruktur keine zwei Trassen vom Zugsystem entfernt und flächendeckend etabliert - die Antilozebrinos nähren sich an Tankstellen und Ständen und jeder kann hinzusteigen.
Wesentlich günstiger als alles, was der Verwaltungs-Verkehrssektor zur Verfügung stellt und wesentlich arbeitsschaffender dazu. Denn während drei Zugführer in einer jahrelangen Ausbildung das Fahren lernen, reiten mindestens dreißig Buschauffeure * ihre liebevoll geputzten Metalltiere und transportieren während einer Fahrt mindestens zehn Personen (Fahrer mit zwei Gästen vorne, zwei dahinter, vier dahinter, wenn der Zusatzstuhl ausgeklappt wird, sonst drei und dahinter, auf der letzten Bank wiederum vier; die Fahrt wird erst angetreten, wenn das Taxi gefüllt ist, was in der Regel sehr schnell innert drei Minuten geschieht).
Zudem wird der Zugfahrt der tsotsi-Faktor zugeschrieben, eine schmeichelhafte Umschreibung der nicht seltenen Lage, in einem Abteil allein zu sein, bis auf die finster drein blickenden jungen Männer hinter einem. Dass sie die Gelegenheit nutzen werden, den Einzelnen um übrig gebliebens Großgeld zu erleichtern, wird nachdrücklich auf den Straßen verbreitet.

Noch etwas: Minibustaxis halten auf Weisung hin, namentlich auf eine elaborierte Finger-Zeichenverständigung, die in Form von Karten oder Büchern erlernt werden kann (Links zu jeweils englischsprachigen Seiten; der erste Link führt zum Guardian, der eine pdf-Datei in grober Auflösung der Stadtgebiete und zugehörigen Zeichen bereit stellt; der zweite Link führt zu einem Büchlein mit Handzeichenillustrationen von Susan Woolf. Am Ende der dortigen Buchvorstellung gibt es einen Link zu einer JPEG-Datei, die bunte Briefmarken mit einigen Handzeichen zeigt).

* eigene Schätzung, keine quantitative Gewissheit
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