2013-11-17

Seit Wochen und Tagen immer das gleiche Einschlafszenario: ich muss etwas schreiben, ich muss dies und das sagen, ich muss das machen, aber ich muss das auch noch schreiben. Es ist wie ein mich verfolgender Zeitplan, der nicht für mich geschrieben wurde oder zumindest nicht für meine gerade erlebbare Zeit. Der Machen-Modus ist angestellt und ich laufe und laufe und laufe. EIn halb-schrecklicher Zustand, weil mir der andere Teil fehlt; ein halb-beglückender Zustand, weil die Spitze eines flow so nah wird.

Die Wohnung, die ich im Prozess des Beziehens besser kennen lerne, formt sich unter Staub und Weiß zu etwas, das mir Zuhause sein soll. Ich finde das Arbeiten mit ihr gut, frage mich aber so langsam, was dieser Gedanke der Finalität soll: irgendwann fertig sein - wozu eigentlich? Vielleicht nur um der Sicherungsanker willen, die ich auswerfen möchte, Alleinsein als Selbstverständlichkeit, als Grundbedingung von innerer Auseinandersetzung.

Dieses blog verkommt derzeit zu einer Leerstelle und ich mag den Gedanken nicht mehr, dass mein hiesiges Leben irgendetwas mit Johannesburg, Südafrika zu tun hätte - ich bin weit von Joburg weg und ich merke, wie mir beschreibende Worte entgleiten, selbst für Begrüßungstexte muss ich lange Schleifen denken. Meine Idee, das Konzept umzustellen, funktionierte, keine Frage, aber der irreguläre Takt (oder das Format selbst?) bekommt mir nicht mehr.
Wie ich bereits zuvor in einem Artikel schrieb (oder mich zu erinnern glaube), muss / will ich nicht öffentlich sein, um auszudrücken, was vor geht. (Oder doch?)

Ich lasse stehen, was hier geschrieben wurde, aber ich habe das Gefühl, woanders weiter machen zu müssen. Andere Stellen sind offen, ich pausiere die ohnehin gebrochene Sendung.


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2013-10-15

Urban autumn / Kneeling lamb

Urban autumn / Kneeling lamb 

While striving through the city and its periphery I recently discovered that I am quite responsive to my natural surroundings. Which astonishes me because I never considered nature would influence my aesthetics behaviourally. Of course I can say that every environment leaves a mark on the individual (e.g. according to David Adjaye ¹ ² ³), thus it must have left a mark within me. But I think there is something else behind it. A former colleague of mine once said that she visited Germany and was surprised about the beauty of its colours during autumn: a thing which does not occur in her home country. It was a beautiful moment in itself, a memory which is shown as a facial expression, as pure vividness. Her eyes glared while speaking about her reminiscence. Maybe it was more this moment which let me think about autumn colours differently. It's not so much the colour per se but the liveliness I am looking for. As if others have to show me how to feel these moments of intensity. And I, consequentially, try to get there, as if this would be a competition for the richness of experiences in one's life.

Another comment fits into this pattern. A peculiar observation made by a friend, something which troubles me since. The accusation of not having developed an aestheticism on my own, but being merely and superficially influenced by others, temporarily only, to show an inclination where there is none. Another friend would have added the term of being an 'intellectual lightweight': to be someone, who says something in order to please someone else, without a sense of what pleases the own eyes and the own mind and without a detailed knowledge (in a broad sense). What a curse.


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2013-10-05

Versus.


Train still.  The day arrives. Close to Luckenwalde. I would like to do exactly the same sometimes: stopping time itself.

Here we are. Back for good, gone for good? I don't know. I just know that I have exploding ideas while having walks through the Strausbergian twilight. A 'versus' pitches, an idea so close to journalistic ideas crafted before, a post-re-post-system between google's illfords (it's the one you are reading) and wordpress' illfords, that I have the feeling of standing still regarding creativity, and yet, it doesn't let me go. I will see how it all works out. 


~~~

First it was a big green grasshopper I found, dying in the grass. Then, today, it was a huge dragonfly, which lay on the pavement without its typical moves of its wings. Autumn turns into winter, I guess.

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I am at at another starting point: a car waits for me, so that I can travel from A to B (leaving out C, because I refuse living in a city and using a car). Hopeless to a discuss it with my ecological consciousness.

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A flat. The handymen are only going to finish the bathroom, then it's done. I am trying to contact the zugvoegel but they didn't reply yet. It was a request, I've written, something like an open invitation to a volunteer from the Global South. I'd like to create a similar space for someone else, something equally warm and liveable as the House of Dreams. 

~~~ 

The realisation that radical egoism has to go into another identity / role of mine. Sometimes it strucks me that others relate to my actions as a reaction / response, not so much as (pre-) actions. Odd.


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2013-09-09

Das Danach in kleinen Schritten


Obschon betrachtet und festgehalten, verging der Frost schnell. Und die nächtliche Kälte wurde erträglich, weil der Tag wärmte. Tränen gab es nicht, aber das bedeutet nichts. Alles fiel schwer. Selbst das Schreiben. 

~~~

Es ist absurd lange her, dass ich hier etwas geschrieben habe, und dass, was ich schrieb, diente lediglich der Ansage für das Hiersein, war nicht wichtig, nur Signal. 
Ich habe mir Gedanken darüber gemacht, was jetzt mit dieser Adresse passiert, was ich eigentlich noch einfließen lassen möchte, was ich halbveröffentlich stehen lasse. Ich dachte daran, dass Gleiche zu versuchen, wie auch schon in Johannesburg, d.h. das Beschreiben der Andersartigkeit im reverse. Allerdings ist die systemische Konsistenz dieser mitteleuropäischen Welt so ergreifend, dass ich Ausfälle habe, sie beschreiben zu können. 
Neulich, in der Schweiz, Basel, komme ich doch zu Formulierungen in einem Straßencafé: 

Himbeere. Süße. Nach dem Spezialitätenkuchen einen Schluck Kaffee, der eine kleine Sinfonie (sin gleich Sünde?) auslöst. Als ob die Nuß lebendig wird. Dann wieder Rauchen. Wenn das das einzige Leben ist, das ich zu geben im Stande bin? Aber ich habe auch das Gefühl, daß ich mich übernehme, dass das alles nicht stimmt, was ich tue, denn egal, wie viel ich auch abgebe, ausgebe, weggebe, ich höre nicht auf, zu bekommen. Eigentlich eine Hölle: zu kriegen, Schuld darüber zu fühlen, nichts zurück geben zu können. Johannesburg war einfacher, regulierter, klarer, voller Kontrolle und mit schlichter Dankbarkeit versehen über die kleinen Dinge. 
Ich sehe zu viel 'Gesundheit' in dieser konsumierenden Gesellschaft. Strenge Diäten und große Einkaufstüten, die Blicke abwägend, skalierend, ob nicht doch eine Spur der Anerkennung im Blick des anderen liegt. 
Ich sehe natürlich auch Armut, denn die gibt es überall. Hier in Jogginganzügen, auf der Flucht, im Rückzug begriffen, nur nicht zu viel zeigen. Schnelle, ungelenke Schritte an der Kirche vorbei. Es gibt einen Hauch der Trennung zwischen wohlständiger und armer Schlankheit. Die Schärfe des Gesichts, das sich mit weiteren Mitteln kleidet gegenüber den Furchen schlafloser Nächte.
Jugendliche Ästhetik: das Einfach-so-sein, das lebendige unverfälschte Vibrieren von Haut, das nicht zu verhindern ist. Dagegen das reguläre Alter mit seiner Erscheinungen. Alterssprossen, Sonnenbrillen, Schirmmützen, die Flucht in den abgegrenzten Schatten, der Hitze wegen. Die Zwischenstufen: klassisch anzugig bis flott und bunt. Wohlstandsbäuche vor sich her tragend, immer noch präsentabel. 

Aber das sind Kleinigkeiten, Wegbeschreibungen. Mein Tun erschöpft sich normalerweise im Bewerben, ein schwerfälliger Prozess, denn meine Ungeduld ist rasend. 
Ich versuche, meine Bahnen wieder zu finden, meine Stabilisatoren: der eigene Raum, die eigene Zeit, das eigene Tun. Wobei meine Raumansprüche gerade mit so Vielen übereinstimmen, dass Konkurrenz unvermeidlich ist. Das Lächerlichste (zugegeben in einer sehr schönen Wohnung): Lichtenberg, Wotanstraße. Die Milde des Abends spannt sich an, weil vielleicht siebzig Personen vor einer Haustür warten. Die bisherige Mieterin, überfordert von der Menge, starrt ängstlich in fremde Gesichter, die durch ihre Wohnung stöbern, anfassen, anschauen, ausfragen. Kein Gesandter der Genossenschaft unterstützt sie. Der Besichtigungstermin wurde im Internet veröffentlicht.

Es sind nur fünf Tage, dann fahre ich zum Nachseminar nach Bielefeld. Das letzte seiner Art für mich als Freiwilliger. Erwartungen? Nur an das Wiedersehen, an das Lachen, an den kunterbunten Austausch von Nicaragua bis nach Mosambik. Vielleicht noch an das 'gender'-Seminar. 

Ich frage mich wirklich, was Jozi macht? Sophiatown? Die neuen Freiwilligen? Die gewohnten Klienten? Das alte, neue Lied?


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2013-08-24

Issues when coming back.

Dear all, as you already noticed due to my last post, I am back. I have met a few of you, other meetings are set up already. It is good to be back, though I am still a bit sad. It seems as if I am not ready to finish my final welthaus report, yet, because I keep me busy: running around, running after flat offers and job opportunities. I have to move out of my parent's house and find a place on my own, something that is not too far away from the inner city (40km is just too much), but not too close, either. A certain distance seems the right thing to choose. As so often.


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2013-08-14

Arrival.

Dissolve Fear. Honor Differences. Face Anger. Opt to listen. 

I am back. What more can I say?
Since last Saturday I arrived with my London airplane at Berlin-Tegel, was welcomed warm-heartily by my family, spent hours of talking and listening. This Wednesday is one of the first days to settle down a bit, to get to grips with another application for the Berlin labour market so that I am enabled to find a place on my own. I checked out flats already, have been booked for upcoming 'public viewings' for some flats and realised how ridiculous it is to see those flat without the option of actually renting one of them because I am not yet working.

I see friends and cycle through Berlin in order to get used to this city again.

I see polished façades, a level of cleanness which bothers me, few, few people, except in those place where tourists walk around, see myself in a mirror in those shopwindows which have all the goods you need to have and everything repelled me in the beginning, now I am starting to become a mite more relaxed.

Is this the adaptational phase, in which I process my 'grievy' feelings, getting angry about all the wealth and exclusiveness here, directing my anger towards those who can afford to be in this place? EU Politicians would say, the strict border rules are necessary to protect what is there, but I tend to say, tear them down, those borders, invite instead of reject, share, share even all the problems which are coming, embrace them, accept the risk a society is for itself, accept the differences, honour the strange.
Maybe I am just missing the strange for myself, the multiple voices and sounds which are not common here. I even practice click sounds on the streets, just to have imported moments of familiarity from my last twelve months. Where is this all?

I see people from African descent and smile at them, because I am happy to find brothers and sisters of mine - terms which are uncommon to the ear of a German. I see them in those very same shops where I found them also in Joburg, in hospice and charity shops, in front of some cafés, in shops which have the label to be truly 'African'.

I think I must keep a few things from Jozi, I cannot help it. I need multicultural environments, I need a certain degree of untidyness, maybe even unhidden poverty.

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2013-07-06

Der letzte Monat.

Zeitungsausschnitt, Joburg Downtown. 
A: (weint) 
B: Warum weinst Du? 
A: (schluchzend, unsicher) Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht ... 
B: (schlägt A auf die Wange) Da. Jetzt hast Du wenigstens einen Grund, zu weinen.
(nach Camus)

Der letzte Monat meines Aufenthalts ist angebrochen und ich weiß nicht so recht, wie ich mich fühle. Einerseits 'fine and dandy' - ein Gefühl von kaltem Morgen, an dem ich in Jacken eingepackt auf dem Fahrrad trete und langsam die Wärme in meinen Fingerkuppen zu spüren beginne. Das Wundervolle danach besteht aus den geröteten Wangen, die mir auch im Spiegel zeigen, dass eine weitere nächtliche Blässe unter den Decken überwunden ist. Andererseits bin ich besorgt um meinen Aufbruch, der mir, obwohl noch scheinbar so lange weg, überhastet vorkommt.
Meine angenommenen Verpflichtungen - ich werde sie aufgeben müssen. Die Frage, ob ihre Nachfolge angetreten wird, bleibt unbeantwortet. Ab dem 9. August ist es nicht mehr an mir, für eine Reaktion zu sorgen.

Jedoch ganz erledigt, ist mit diesem Gedanken noch nichts. Ich denke auch an die emotionalen Banden, die (s)ich irgendwie doch mit meinem Umfeld gesponnen haben. Was passiert im Danach? Wird für Kontinuität gesorgt? Gibt es andere Personen, die sich kümmern?

Ich bemerke auch, dass ich wehmütig an Gegenständen hängen bleibe, die mich tagtäglich umgeben. Banales, wie ein Keramikteller mit einem Sprung, die imperiale Nachttischlampe, deren Haupt sich schon lange von ihren vier Halterungsdrähten getrennt hat (und das jetzt meinen Wäschekorb ziert). Ich denke daran, was ich hier lasse, was ich mitnehme, was ich noch erledigen muss usf. Kurzum: eine Aufbruchs-Unruhe macht sich in mir breit.

Ein weiteres Symptom dieses Zustandes ist eine Art Reparaturwelle in mir. Ich möchte gerne Dinge hinterlassen, die funktional sind. Ich lasse Kissen- und Deckenbezüge nähen, selbst wenn ich nicht für ihren Verfall verantwortlich war. Nur das einmalige Benutzen verpflichtet mich irgendwie. Ich schaue nach Nischen im Haus, die ich gerne fülle - eine Salat- und Rührschüssel, die irgendwie immer fehlte, aber erst jetzt durch mich erstanden wurde. Eine Springform, ein Backblech. (Zugegeben, diese Objekte laufen auf ein thematisches Ziel hinaus: ich möchte noch einen Kuchen backen).

Der Herd, bevor ich ihn säuberte. 

Scharfe Messer. Genügend Scheren. Ein Fahrrad, das fährt.
Es ist eine eigenartige Nischenordnung, die ich stimuliere - idiosynkratisch, orientiert an den Dingen, die für mich noch Bedeutung haben werden / haben / hatten und dem Auge für kleine Verbesserungen, die dadurch auffallen, dass sie keinem auffallen, weil sie zumeist als gegeben angenommen werden.

Zumindest verschaffe ich ihnen hiermit eine Geburtsurkunde.


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2013-06-23

Die zwölfte Sprache.

Das Alphabet der Zeichenformen für Nicht-Blinde.

Beinahe am Ende meines Aufenthalts werde ich endlich der Sprache mächtig, die auch für mich eine wichtige Rolle spielte - die Handzeichensprache der Taxifahrer. (Ich berichtete schon kurz darüber.)
Ich besuchte das Wits Art Museum (WAM) in Braamfontein, um mir ein Bild der Ausstellung zu machen, die eben für jenes, bereits erwähnte Büchlein bzw. die damit verbundenen Projekte der Künstlerin Susan Woolf kuratiert wurde.
Der Eintritt des WAM wird generell jedem geschenkt und da ich Glück hatte, dass genau an jenem Besuchtstag Susan Woolf selbst anwesend war, um sich zu erklären, bekam ich sowohl die oben abgebildete Broschüre als auch das Taxizeichenbüchlein dazu.

Was soll das Ganze? Woolf schreibt eine Dissertation über ihr Projekt und hat nicht nur ambitioniert und mutig nach den Ursprügen der - wie fast allen Sprachen zu eigen - dynamischen, sich evolvierenden Kommunikationsform gesucht, sondern auch Braille-Zeichen für Blinde entwickelt. Obwohl blinde Menschen generell wie jeder andere auch durch die Minitaxis transportiert werden und auf ihren Strecken ebenfalls die Zeichen kennen, reichte das Woolf nicht. Es ist ein bisschen so, wie mit dem Metrobussystem: erst die Ordnung verschafft für Manche Befriedigung.

Auch wenn jedes Zeichen bzw. jede Buslinie erfragt werden kann und die Taxi- bzw. Busfahrer schon einmal anhalten, um Auskunft zu geben, wenn niemand weiß, wohin es geht, so ist doch der apriori-Versuch exakter Kenntnis ein vielversprechender. Mit Woolfs Buch (oder eben mit Jizzy Lebigs Karte) kann jede Person vorab Zugriff auf die Erfahrungen anderer haben.

Ich sehe darin nicht nur den Versuch, das Informelle fassbarer zu machen (nach und nach zu formalisieren), sondern auch die langsame Ablösung der oralen Narrative hin zu schriftlichen (westlichen) Ordnungs- und Verständigungsstrukturen. Es ist dies das Begreif- und Verfügbarmachen - ein Demokratisierungsversuch, denn jede/r kann fortan auf ein zuvor exklusives Wissen zugreifen, das hohe Barrieren hatte. Zum einen gab es die Barriere der Sicherheit (wer fährt Taxi? Zumeist die arme, pendelnde Bevölkerung, die sich kein eigenes Auto leisten kann). Zum anderen die der zweifach Verschlüsselung (wer spricht die Sprachen des Taxifahrers? Wer kennt die Zeichen für die Routen der Taxifahrer?).

Ich komme langsam zu dem Punkt, an dem ich erkenne, wie offen Johannesburg in der letzten Dekade geworden sein muss und dass gerade diese Offenheit nicht nur ein Motor der Zuversicht für eine prosperierende Stadtzukunft / -vision ist ("A world-class African City", so der slogan), sondern auch, dass diese Einladung endlich allen Menschen gilt.
Neulich stolperte ich über mehrere Zeitungsartikel, die beschworen, wie sehr der urban dekay für die innerstädtische Flucht verantwortlich war und wie sehr jetzt und in naher Zukunft daran gebastelt wird, die Verlockungen der Innenstadt wieder aufzugreifen und (leider stark monetär getrieben*) nutzbar zu machen.

Fingerzeig für "Jo'burg CBD / Noord Taxi Rank"

Da ich mich sehr stark mit den Werten der idealen Stadt  identifiziere (Nähe, Multikulturalität, Fühlungsvorteil [im weiten Sinn], Emergenz, unvermeidliche Begegnung), let's move!


* Das hat mindestens zwei Seiten: dass Geld nicht nachhaltig ist, liegt am derzeitigen und weltweiten Geldsystem. Dass es aber Unterhaltungswert hat und ein primäres Ziel, ja ein Ziel an sich geworden ist, kann so schnell nicht mehr verändert werden. So sehr ich auch an einem Freigeldexperiment à la Wörgl interessiert wäre, so sehr sehe ich auch die Machtverhältnisse, die dies in Schranken halten und hielten. Meine Hoffnung: dass die am Geldumlauf partizipieren, die über die Jahre geblieben sind.



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2013-06-09

Bericht in Stücken IV.

 

Auslaufendes.

Neulich gab es ein Feuer auf dem veld hinter unserem Haus. Es entwickelte sich aus einem Müllcontainer heraus, der im unteren Bereich leckte, Flammen auswarf und den Wind für den Funkenflug nutzte. Durch die jetzige Trockenzeit ist das hohe Gras strohartig und da brauchte es nicht viel, um einen Flächenbrand zu entfachen. Prinzipiell benötigt die natürliche Vegetation genau das: die Erneuerung der Flora findet über den Brand statt. Würde Johannesburg nicht Stadt sein, so wären die hohen Gräser so ziemlich das Einzige, was zu sehen wäre. Eine hügelige, trockene Landschaft, in die häufig der Blitz einschlägt. Der Leiter des Partnerprojekts in Mpumalanga sagte, manche Pflanzenarten können nicht anders keimen, sie entstehen nur, wenn das Gras verbrannt ist, die Sonne an sie heran treten kann und die fruchtbare Asche für den Nährboden sorgt. Doch es ist nun einmal städtisches Gebiet, dieses Johannesburg und irgendein Müllentsorger mit Zugang zum Container (der ziemlich verlassen und allein herum steht) brachte es fertig, den Gedanken, den größeren, angesammelten Müllberg durch ein Feuer reduzieren zu wollen, in die Tat umzusetzen. R. war die erste, die aus ihrem Zimmer in die Küche kam, um mich zu informieren. Sie sagte, eine unbekannte Nummer hätte sie angerufen, sie sei aus ihrem Dösen erwacht, hätte aus dem Fenster geschaut und das veld in Flammen gesehen. Ein paar Minuten später erhielt ich auch einen solchen stummen Anruf. Bei Abnahme gab es keine Meldung. Die Nummern zwischen R. und mir stimmten überein. Was das sollte, wird wohl ein Rätsel bleiben. Wir informierten T. und dieser rannte sofort mit Eimern in den Händen hinaus. Er sagte, wir müssten das Feuer eindämmen, andererseits könne es Überhand nehmen und bis zu den nachbarlichen Häusern und gar unserem Haus vordringen. Ich war erst ziemlich gelassen und reagierte mit einem 'pff', aber als ich schließlich im Gras stand, nahe des Feuers, wurde auch mir klar, dass die Sache nicht spaßhaft-heiter genommen werden sollte. Schnell war übrigens auch klar, dass wir mit drei Eimern und einem nicht funktionalen Wasserschlauch nicht viel erreichen konnte. T. entschied, die Brandherde mit einem Ast auszuschlagen. Das wirkte. Allerdings überkamen mich doch Zweifel und ich rief die Feuerwehr. Jedoch beließen wir es nicht beim Warten und kämpften. Wir waren schneller als die Feuerwehr. Wir zerschlugen das Feuer mit unseren Ästen und röchelten ein bisschen in dem Atemwegen dabei. Nachdem der Brand aus war, trudelte das große Feuerwehrauto ein und die Herren löschten schließlich den noch brennenden Container. Ich weiß nicht genau, was die Konsequenz sein wird - die Feuerwehrmänner sprachen davon, dass der Einsatz bezahlt werden müsse, dass die private Müllverbrennung eine Straftat sei usf. Für mich war es ein kleiner Aufreger und für alle Beteiligten Hilfs- und Ausnahmelöschkräfte entstand, so schien es mir, ein Gefühl, Gutes gemeinsam getan zu haben.

Ich glaube, ich werde das veld vermissen. Schließlich war es mein Schreibtischausblick über die letzten neun bzw. zehn Monate. Ich bemerke schließlich, wie sich das eine Jahr Johannesburg dem Ende neigt und ich spüre ambivalenten Gefühlen nach. Zum einen weiß ich, dass ich mich darauf freue, zurück zu kehren, dass ich wieder etwas Neues beginne, dass ich um eine Arbeitserfahrung reicher bin und um eine gefühlte Entscheidung ebenso. Zum anderen denke ich: das war es? Müsste ich nicht noch ganz viel tun? Natürlich kann ich mich gegen Letzteres wehren: es sind beinahe nie die äußeren Dinge, die etwas in mir voran treiben, es sind fast nie die Beweisstücke des Orts, die mich zu verändern in der Lage sind. Es ging und geht für mich darum: was habe ich gedacht? Was habe ich gefühlt?

Und nichtsdestotrotz versuche ich noch ein paar anderen Orte zu sehen. Ein ehemaliger Kollege wird ein Seminar außerhalb von Johannesburg veranstalten und da die Lage idyllisch erscheint, fragte ich ihn, ob ich ihn begleiten könne. Er stimmte zu und ich werde an einem der nächsten Wochenenden zum Sediba Mountain Retreat Centre in Hartebeespoort fahren. Ich werde auch eine Urlaubswoche im Juli an der Ostküste nahe Durban verbringen. Ein Freundin T.s lebt dort und lud uns ein. Danach bleiben mir noch ein paar freie Tage vor dem Flug für den Abschied von den Dingen, die mich umgaben, für ein bisschen Ruhe (den letzten Bericht?), für ein bisschen Skateboard, ein letztes Foto oder den letzten Traum im House of Dreams.

Aber was wird aus Johannesburg? Ich bin noch nicht ganz am Ende angelangt, ich habe noch zwei Monate hiesiges Leben vor mir, ich muss jetzt noch nicht Abschied nehmen. Mal sehen. Ein zukünftiger Ausblick: meiner Fantasie nach werde ich noch einmal studieren. Architektur aus anthropologisch-soziologischer Perspektive. Den ersten Abschluss erreiche ich in Berlin, dann kehre ich nach Johannesburg zurück, um urban informalism in Folge zu studieren. Meine Studentenwohnung wird in Braamfontein liegen und ich werde es jeden Tag genießen, Teil einer studentischen Aktivistenbewegung zu sein, in einer Stadt, die rauscht anstatt gemächlich zu schwappern.

UPDATE: via ist die pdf Datei vom zusammengefügten Bericht abzurufen (153.8Kb)


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2013-06-04

Johannesburg Metrobus - BRT - Gautrain bus map.

http://www.ikimap.com/map/johannesburg-metrobusbrtgautrain-bus-map

Dieser Hyperlink ist in gewisser Weise ein blog-Unfall: unbedacht versuchte ich auf einem anderen Blog einen Link zu setzen, was sich aber als Querverweis herausstellte. Und so landete der Eintrag über den Johannesburger Busfahrplan bei mir.

Das Bemerkenswerte liegt wieder einmal in der Informalität der Angelegenheit. Das Metrobus-System ist ein gut ausgebautes Busliniensystem, das Millionen von Joburgians in und um Johannesburg herum in Mobilität versetzt. Der Aspekt der Funktionalität beschränkt sich allerdings auf die fahrenden Busse inklusive der Fahrer. Alles weitere ist ein kommunikativer Alptraum. Es gibt kaum/keine Buszeittabellen, kaum/keine Bushaltestellenaufsteller und es führt eigentlich kein Weg daran vorbei, jeden einzelne/n Busfahrer_in zu fragen, wohin ihr/sein Bus fährt.
Auch das Internet ist seit Langem in der Warteschleife, wenn es um den Metrobus geht.
Allerdings hat @Jizzylebig (twitter) keine Kosten und Mühen gescheut, um beinahe das gesamte Metrobusnetz auf einer eigenen Karte abrufbar zu machen. Das ist fantastisch und darf mit Applaus bedacht werden. Es ist, als hätte er dem Unternehmen im Singular vorgeführt, dass eine einzelne Person fähiger ist, die Transportwege transparent zu machen, als es selbst.


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2013-05-31

Bericht in Stücken III

Einlaufendes. 

Es ist Zeit, an dieser Stelle auf manche technischen Unterschiede zwischen Deutschland und Südafrika hinzuweisen, die im Johannesburger Leben eine Auffälligkeit darstellen. Nicht, dass ich Mißverständnisse produziere: alles ist kaufbar. Das bedeutet in der Konsequenz, dass wer Geld besitzt, alles kriegen kann. Wie fast überall. Aber durch die mehrheitlich prekären Umstände der Vielen wirkt sich das in der allgemeinen Staffage nicht sonderlich aus. Gut, wenn ich einen Maserati, das neueste iPhone und den Stadtpalast sehen will, dann radele ich in die nördlichen Bezirke. Blicke ich aber auf meine Umgebung, dann sehe ich alte Opels, vielgefahrene Benz' oder deutschbeflaggte Golfs (eher aus der ersten Generation denn aus der aktuellen). Wunderschön sind auch die gebeutelten Audis, die aus kleineren, Trabant-ähnlichen Motoren röcheln und denen bei geringster Steigung die Puste, will sagen, der Ofen ausgeht.

Aber nicht nur PKW sind älteren, abgelegten Datums, sondern auch Kleider. Erst vor ein paar Wochen stieß ich in Orange Grove auf einen charity shop, der abgelegte Kleider aus Übersee zu Minimalpreisen verhökert (wenngleich er dabei noch Gewinn macht). Das vom freundlichen Inhaber erläuterte Verfahren ist Folgendes: Containerladungen voller Wäsche werden z.B. in Europa gesammelt, kategorisiert und dann verschifft (fast jeder kennt die beigen Kleidersammelcontainer und potentiell dahinter steckende Machenschaften). In den Ankunftshäfen warten die Händler auf diese Waren und kaufen im Auktionsverfahren. Was genau in den Containern enthalten ist, wird grob deklariert: Hemden, Mäntel, Trenchcoats, Shirts, Pullover, Schuhe, etc. Es gibt ja nicht nur charity shops (die ihre Gewinne prozentual an gemeinnützige Organisationen weiter geben). Viele Hafen-Händler reisen in die Johannesburger Innenstadt und reißen an Samstagen die großen Kleidersäcke auf und lassen Menschen im „Buddel-Dich-durch“-Verfahren wählen, was ihnen gefällt und/oder passt. Die Preise sind immer verhandelbar, die Klamotten riechen ein bisschen muffig. Ich vermute, dass hier die zweite oder dritte oder vierte Auslese-Kategorie aufgetischt wird. Und es ist immer voll: die Menschen kaufen. Das Johannesburger Stadtpanorama ergänzt sich somit: funktionslos gewordene Architektur (unbenutzte Büroriesen und Hotels) gemischt mit abgelegten, z.T. bunten, mondänen oder einfach nur auffälligen Kleidern - Tierpelzen z.B., die zu Jogginghosen und Schlappen getragen werden oder auch italienische Sakkos, die ihren Reiz zu deutschen Motivshirts ausspielen. Einmal traf ich ein kleines Mädchen, das mit der Aufschrift „Rummachen“ umherlief - eine mich fröstelnd-zurücklassende Begegnung, deren Sarkasmus im Land der Vergewaltigungen und Kinderverbrechen keinen Lacher in mir auslösen konnte.

Alt vs. Neu.

Persönlich vom Einlauf betroffen sind meine Kleider: wann auch immer ich sie zur lokalen Wäsche bringe, ich erhalte sie zuverlässig um gefühlte Zentimeter zurück. Das hat ebenfalls mit der technischen Ausstattung zu tun. Nach meienr Beobachtung kennt die hiesige Waschmaschine keinen präzisen Temperaturregler. Sie unterscheidet nicht Buntes und Weißes, sondern Niedrigtemperatur und Hochtemperatur (ich vermute, unter Letzteres fallen Handtücher und Bettwäsche). Dem hiesigen Trockner allerdings, spreche ich die schlimmere Wirkung zu: haben meine Kleider den kalten Wirbel und die Kernseifeprozedur überstanden, so geraten sie in unmäßig heiße Winde und Strömungen, die in kürzester Zeit die größten Kürzungen vornehmen. Die Schnelligkeit gewinnt hier das Argument, denn ich bin nicht der Einzige, der Wäsche vorbei bringt und Zeit ist Geld und der Kunde wählerisch. Sollte die Wäsche nicht pünktlich fertig sein, nun, eine andere Wäscherei weiß im Block um die Ecke zu überzeugen. Nun, In knappen Shirts habe ich mich schon immer am Wohlsten gefühlt.



Der psychotherapeutische Einlauf ist dagegen etwas, was mich nicht nur konstant umtreibt, sondern auch ein festes Datum bekommen hat. In der letzten Juniwoche wird eine Ferienprogramm zum Thema 'Verlust/e' stattfinden und ich bin stark involviert.

Durch den Anreiz becirct, etwas von mir in das Programme mit hinein zu bringen, entschied ich mich für die konzeptuelle Ausarbeitung des Konstrukts „Komplizierte Trauer“ und deren quantitative Analyse. Erstaunliches ist geschehen passiert: ich war damit in der Lage das halbe Ferienprogramm in Frage zu stellen und ebenfalls die organisatorischen Autoritäten.

Was ist geschehen? Ich hatte schon während des Studiums über das Konstrukt gelesen: praktisch-orientiert, verhaltenstherapeutisch. Allerdings wusste ich nicht, welche Forschungsarbeiten dazu vorlagen und so suchte ich danach. Ich stieß auf George Bonnano. Dieser feine Herr hat sein Lebenswerk dem grief gewidmet. In Längsschnittuntersuchungen fühlte er dem Konstrukt nach und fand in hohem prozentualen Vorkommen, dass Komplizierte Trauer ein Randphänomen sein sollte. Dies deshalb, weil die meisten Menschen ohne weitere Intervention der therapeutischen Industrie dazu in der Lage sind, ihre Verlustgefühle von selbst zu regulieren, aber das breitgefächerte therapeutische Angebot diesem Fund diametral gegenübersteht. Betroffene können sich eigentlich gar nicht vor dem hausierenden Verlust-Berater verstecken. Bonanno stellte also eine seichte Diskrepanz fest und machte sich keine Freunde damit, Therapeuten und Beratern und seelischen Heilern vorzuhalten, sie überinterpretierten, ja katastrophisierten die Folgen von Tod und Verlust und vermarkteten Geschäftsinteressen. So wie jede gute Versicherung mit der Angst ihres Klientel spielt („Ja, so eine Flut kann auch das Alpenvorland bedrohen.“), so wirbt auch die grief industry mit übertreibender Vorsicht.

Bonnanos Arbeiten beinhalten ein weites Altersspektrum und können als ausführlich deklariert werden: er befragte Kinder, die ihre Eltern, und schritt voran bis zu alten Menschen, die ihre Lebenspartner verloren hatten. Die Mehrheit der tausenden von Befragten konnte die Verluste verwinden und nur etwa zehn Prozent von ihnen litt unter zu behandelnden Symptomen, wie übermäßiger Trauer, die jeden Tag auftrat, dem Wunsch nach Wiedervereinigung mit der geliebten Person, einer Identitätskrise, der Schwierigkeit, den Verlust anzuerkennen und anderen, depressiven Erkrankungen ähnlichen Phänomenen. Ein zeitliches Kriterium stellten sechs Monate dar, in denen die genannten und weitere Symptome regelmäßig auftraten. Zusammengenommen mag all das auf den ersten Blick zu streng aussehen, wenn doch beinahe fast jeder Mensch die Gefühle intensiver Trauer bezogen auf einen Verlust erlebt hat, ihre Wogen vielleicht noch detailliert erinnert und daran mit Tränen in den Augen zurückdenkt und sich weitere Hilfe gewünscht hätte. Aber genau in dieser Beschreibung findet sich, dass der Verlust verarbeitet wurde: er hat einen festen Sitz in der Erinnerung, er ist autobiographisch verankert und zeitlich festgelegt. Er ist schlicht vor dem Ich anerkannt, als endgültig definiert und die Wünsche zur Wiedervereinigung finden sich allein in religiösen Vorstellungen vom Tod. Damit ist die klare Grenze zur Behandelbarkeit gezogen. In einer solchen Wahrnehmung vom Tod, ist keine therapeutische, beratende Hilfe vonnöten. Andere Resourcen sind gewiss hilfreich, wie die familiäre oder freundschaftliche oder eben religiöse Zuwendung, die Ablenkung durch andere, die integrierende Erinnerung an den vermissten Menschen, an seine Schwächen, Macken oder Liebreize. Aber alles andere: laut Bonnano unnötig.* 

*Ein illustrierendes Beispiel von der schwierigen Verarbeitung von Tod beschreibt Joan Didion, die den Verlust ihres plötzlich verstorbenen Ehemanns John Dunne nicht erträgt. Zu lesen in: „The Year of Magical Thinking“.

Nun ist aber die Organisation, in der ich arbeite, aus anderem Holz geschnitzt, als ich. Sie arbeitet vorwiegend nicht mit Fragebögen oder auf der Konstruktebene, streitet nicht über Validität und akzeptiert das klinische Urteil als weitestgehend übereinstimmend zwischen den verschiedenen Mitarbeitern und als das wichtigste Entscheidungskriterium überhaupt. Die Orientierung und Herkunft ist eher als psychodynamisch zu beschreiben, wenngleich mit dem Fokus der Klienten-zentrierten, Rogerschen Arbeitsweise. Und sie hat Erfahrungshoheit, diese Organisation. Und genau gegen all das rebellierte ich.

Als erstes stellte ich meine Kritikpunkte vor, beschrieb, wie vorschnelles diagnostisches Urteil langfristig ungünstigere Folgen hat als stilles Abwarten und Zahlenzählen, sprach über die empirische Forschungslage und machte Zweifel zum hiesigen Selektionsprozess deutlich. Dann fügte ich als mich absicherndes Instrument das Inventar zur Komplizierten Trauer (ICG-R) in den Selektionsprozess ein, machte Kopien und verteilte fleißig an die, die den Auswahlprozess durchführten. Ich ging dabei inklusiv vor, ich lehnte nicht das bisherige Vorgehen ab (selbst kreierte Fragebögen und offene Fragen plus unstrukturiertes Interview) und versuchte mich im Eklektizismus. Was ich aber außer Acht ließ: mein Streiten war dabei dem Prozess der Finalisierung im Weg. Ich achtete nicht darauf, dass bestimmte zeitliche Grenzen für die Planung der "Trauer-Woche" galten. Und alles schien wie eine akademische Diskussion zwischen zwei Personen, die die anderen ausließ. Kurzum: ich genoß die Lage sehr, denn Ambivalenzen, die zu Veränderungen in der Lage sind, sind meine Steigbügel - besonders, wenn ich nicht mehr zu steigen brauche.

Nach einer gewissen Zeit des minimalen Fortschritts im konzeptuellen Clinch, wurde ich zum Gespräch, zur Mediation gebeten. Dass ich nicht der Mediator war, sollte an dieser Stelle klar geworden sein. Es ging um Gefühle der Unsicherheit, die ich auszulösen im Stande war, um die Position der Organisation, um die Sicherstellung der bestehenden Machtverhältnisse und um die Sorge für die Kinder, die, den parentalen Konflikt (zwischen der Kollegin und mir) unbewusst aufschnappend, sich ebenfalls in Meuterei versuchen und, geübt in patriarchalen Idealisierungen, mehr Glauben mir, denn ihr schenken könnten.

Schlussendlich einigten wir uns auf die Anerkennung der Differenzen, auf den Beibehalt der Selektionsprozedur und die leichte Überhöhung der mütterlichen Position. Ich glaube, mehr konnte ich gar nicht erwarten und das Ergebnis gefällt mir noch immer.

Seitdem digitalisiere ich fleißig Daten und werte deskriptiv aus. Ein bisschen reminiszent-nostalgische Gefühle sind dabei - meine quantitativ-forschende Ader ist also noch nicht verkalkt.


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2013-05-26

Bericht in Stücken II

 Und wer steckt hinter dieser Mauer? Und was wird da gespielt?

Mitlaufendes.

L. und F. waren in Joburg für eine Nacht. Anders als in „meinem“ Projekt, wird nicht allzu streng auf die Urlaubstage geschaut. (Ein anderer Rahmen hält her - 20 Tage versus 40+, das hat wohl mit dem individual-staatlichen bzw. organisatorischen Zeitverständnis zu tun und beginnt bei meinen Verhandlungen um ganze sieben Minuten vor vier Uhr, die ich für eine private Angelegenheit einsetzte und die mich eine lange moralische und organisationspsychologische Debatte am Folgetag kostete, und der einmonatigen Mosambik-Rundreise; anders als zu erwarten, verspüre ich nur leichte Gefühle von Neid; sie sind das leichte Aufflackern alter, external gespeister Vorstellungen, was ein einjähriges „Abenteuer in Afrika“ auszeichnen sollte [Giraffen und Löwen und wenn schon nicht das, dann Dauergewalt, Prostitution oder entmutigendste Armut]. Ich wählte und ich wusste und ich will auch gar nicht anders. Die Stadt braucht sich nicht auf.)

Wir trafen uns auf eine Runde Brause in der Innenstadt und brachten uns auf die aktuellen Stände:

A: „Was geht bei Euch?“,

B: „Gerade sind an die vierzig Enten in einem Dorf gestorben, was richtig blöd ist.“ (für all die, die nicht wissen, was F. und D. in Chai-Chai machen, es geht u.a. um empowerment und Mikrofinanzierung und dann um Enten, die ein Geschäftsmodell darstellen. Wenn also Enten sterben, stirbt das Geschäft.);

[...]

B weiter: „Kapstadt war toll, bis auf die tsotsis, die L.'s Kreditkarte kopiert und von ihr das ganze Geld abgezogen haben.“,

[...]

C: „Im Projekt ist keine gute Stimmung, weil die Sexismen und die unbedingten Machtgelüste des Chefs unerträglich sind.“,

[...]

Alle: „Na dann sehen wir uns in Swaziland wieder.“ usf. 

 ~~~
Blick auf Sandton, von Ridge View aus betrachtet
Eine Freundin macht derzeit einen Fotokurs und Aufgabe ist es, backyard-mysteries zu dokumentieren. Als geübter Spaziergänger der Stadt habe ich meine eigenen Vorstellungen davon, was solche Mysterien betrifft. Ich glaube z.B., dass das Unbekannte nicht in abgebrannten Häusern zu finden ist, sondern vielmehr hinter den meterhohen Mauern in gated communities. Aber erwartbarerweise (aus der Frage des Verkaufswerts resultierend), justiert der Auto-Fokus auf Armut. Es geht eher darum, denjenigen, die fast nichts (wörtlich) haben auch noch ihre minimale Definitionsmacht im Sinne ihrer Lebensbedingungen fotografisch auszulegen. Denn wie wird der Moment mehrheitlich interpretiert, wenn sich eine Familie unter einer Bettdecke, auf einem Außenbett und freiem Himmel ihre Pudelmützen zurechtrückt, weil es nachts kalt wird?

Ohne Pudelmütze und in bester Braai-Laune präsentierte sich die weiße, sehr exklusiv-gelegene Siedlung Ridge-View [Rich-View; Link zu Google Maps; eine Ansicht einer "Burglage" kann bestaunt werden, wenn street view eingeschaltet wird]. Es ist schon erstaunlich: Straßen werden aus Sicherheitsgründen privatisiert und abgeriegelt, die Schönheit des ausschweifenden Blicks wird vom Zutrittsrecht abhängig gemacht.

Ein paar Tage ist es erst her, dass ich Melody Emmett kennen lernte. Sie schreibt über Bez Valley und ihre community, besonders beeindruckte mich aber der Einführungsseitentext auf ihrem blog über die Ursprünge des Areals. Von Bedfordview bis zur innerstädtischen End Street war alles eine einzige Farm. Diejenigen, die noch nie eine Farm besucht haben, seien die Landschaften Limpopos ans Herz gelegt (danke für Deine Beschreibung, Maxi) oder, nicht weit von der Dimension entfernt, die medialen Ausgestaltungen der Kornkammern US-Amerikas - ich hoffe, ich bin nicht der Einzige, der Heiner Müllers Beschreibungen oder Wim Wenders Filme assoziativ dazugedenkt.

Ridge-View gehörte seitwärts zu dem ehemaligen Farmland und war vermutlich nicht mehr als eine Erhöhung in der Umgebung, auf der hohes Gras wuchs (highveld-typisch) und das Gestein ein Urbarmachen verhinderte. Heute jedoch präsentiert es sich in einer derartig herausgehobenen Wohnlage, die gänzlich unbezahlbar geworden ist. Ich treffe Peter und er wohnt in dieser abgesperrten Straße mit seiner Mutter, die für eine weiße Familie das Haus bestellt. Er lädt mich ein, eine kleine Tour durch die Straße zu machen. Wir sprechen über white inherited wealth, über den Reichtum, der nur von den Eltern an die Kinder weiter gegeben wird, der auch nicht mehr in gleicher Weise durch sie zu erwirtschaften ist, weil sich die sozialpolitischen Rahmenbedingungen drastisch und glücklicherweise verändert haben. Dennoch bleibt der trübe Punkt des sich aufrecht erhaltenden Status: diese Kinder dieser Eltern (weiß und wohlhabend) werden bei geringen Radikalitätstendenzen nichts weiter tun müssen, als das zu verwalten, was bereits da ist. Wie ist der Stadtpalast, die prachtvolle Burg aus Glas, Beton und Stahl auf dem Hügel entstanden? Meine Vermutung: auf dem Rücken der südafrikanischen Mehrheit. Und das ist, wenn man die Minenarbeit bedenkt, wörtlich zu interpretieren.

Natürlich weiß ich nicht, wie diese Häuser explizit zu ihren Besitzern gekommen sind, aber kann ich wirklich von der Unschuldsvermutung ausgehen? In Südafrika?

Peter sagt, dass er gerne etwas mit Musik machte, ein Studio oder ein Label mitgestalten. Allerdings kann er nicht studieren, weil ihm noch das Geld fehlt. Wir sprechen noch ein bisschen über the struggle, zee Germans, Asylpolitik hie und da (Südafrika versus Europa) und verabschieden uns schließlich in freundschaftlicher Manier.


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House of Dreams, 154 Regent, Frontalansicht. 

Die neuesten Neuigkeiten vom House of Dreams sind lokal-historisch atemnehmed: die Freedom Charter wurde (nach mündlicher Quellenlage; durch Lionel Rusty Bernsteins Memoiren wird das nicht bestätigt) in Teilen hier geschrieben und zusammen gefügt. Sie ist der Vorläufer der südafrikanischen Verfassung, sie ist nicht-elitär durch ihren Ansatz, Freiheitsrechte bei denjenigen zu erfragen, die das Volk waren. Die Adresse 154 Regent Street war einst durch die Bernsteins bewohnt: Hilda und Rusty und ihre vier Kinder, Toni, Patrick, Frances, and Keith, lebten und arbeiteten hier.

Es muss ein paar Monate her sein, dass Thotho mit Keith an unserem Zaun sprach. Keith wanderte auf und ab, schien sich das Haus zu begucken und irgendwann wurde jemand auf ihn aufmerksam und schickte Thotho. Nachdem Keith erklärte, warum er so neugierig sei, ließ ihn Thotho ein und zeigte ihm das Innere des Hauses. Keith habe dann gesagt, dass er glücklich über die Nutzung sei, und dass, als er das Haus noch vor ein paar Jahren besuchte, der Verfall vorgeherrscht habe und ihm beinahe das Herz gebrochen sei, als er sein ehemaliges Zuhause in einem solch' jämmerlichen Zustand gesehen habe. Die Geschichte hört da nicht auf: Sophiatown Community Psychological Services wurde von der Heritage Foundation kontaktiert. Diese sagte, dass man eine Gedenktafel anbringen wolle, zur Ehre der Bernsteins. Und in all dem Hin-und-Her-Kontaktieren entstand auch eine Verbindung zu Toni Strasburg, dem ersten Kind der Bernsteins, das in Kapstadt lebt und arbeitet und zu einer Memorial-Lecture an der Wits Universität kam.

Obgleich die Lesung ein architektonisch-gefärbtes, aktuelleres Thema als das der Entstehung der Freedom Charter hatte („Making Slum-Free Cities: Global Urbanism in the Asian Century“), war es dennoch interessant die Art der Vernetzung zu begleiten, die SCPS (ungeprüft) erfolgreich arbeiten lässt. *

Zu Toni Strasburg gesellte sich Barbara Harmel, auch ein Kind einer Aktivistenfamilie, die als Psychologin in Westdene arbeitet und sogleich auf eine künftige Zusammenarbeit hindeutete. Was auch immer dabei heraus kommt, die impliziten, verbindenden Kreise schließen sich explizit.

Im Juni wird die Gedenktafel angebracht und ich steuere auf ein größeres Verständnis für die jüdisch-kommunistische Gemeinschaft der Anti-Apartheid-Aktivisten zu.  


* Meine Vermutung: laut sozialer Konnexionstheorie sei der exekutive Kopf von SCPS ein wesentlicher Knotenpunkt, zu dem übermäßig viele einzelne Kontakte verknüpft sind (graphisch sind dies die auf ihn gerichteten Pfeile). Seine implizite Aufgabe besteht daraus, diese Pfeile wiederum miteinander zu verknüpfen (wenn nicht ohnehin schon eine gewisse Netzwerkdichte und damit Bekanntheit untereinander besteht). Der Akt der Verknüpfung bringt nun wieder neue Kontakte auf - ein Emergenz-Phänomen wird evoziert und durch besonders erfolgreiche Verknüpfungen entsteht Vertrauen, das im psycho-sozialen Kontext eine der prominentesten Rollen spielt. (Ob facebook, twitter oder google+ dazu in der Lage sind, wird derzeit ausprobiert)

UPDATE:



The plaque for the historical site I am living in. 


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2013-05-25

Bericht in Stücken I

Vorlaufendes.

Ich bin dieser Tage nicht gut gestimmt, ich bin traurig. Um ehrlich zu sein, ich habe mir neulich sogar einen halben Tage frei genommen, als ich das Gefühl hatte, nicht einmal mehr mit meinen Kollegen über den Tag kommen zu können, geschweige denn mit Klienten. (Als psycho-sozialer Berater bedeutet Produktivität nicht, dass man stets und ständig verfügbar, sondern präsent ist. Ist diese einzigartige Qualität der psychischen Verausgabung nicht mehr gegeben, ist es besser, aufzuhören, statt weiterzumachen. Das verstehen zwar einige Menschen nicht - vielleicht weil sie noch immer der Vorstellung großer Bürogesellschaften der 1980er Jahre aufsitzen - aber dazu zwinge ich sie auch nicht. Für mich hat die Begründung emotional turmoil mehr Aussagekraft als leichter Kopfschmerz).

Stattdessen half mir die sehr effektive Emotionsbewältigungsstrategie des Skateboardfahrens. Im Prinzip wollte ich allein sein, aber das ging einfach nicht, hier auf den Straßen Joburgs. Ich lernte einen Pennäler kennen, rank und schlank in seiner Schuluniform mit den Abzeichen des Klassensprechers, des Schachclubvorsitzenden und, wie anders, mit dem güldenen Blech für herausragende sportliche Erfolge. Er schwatzte mit mit, ich mit ihm, wir unterhielten uns über Schule und Studium („Man muss doch studieren, wie kann man da jeden Freitag Party machen?“), die Nachbarschaft („Cool hier.“), die dramatische Vergangenheit Yeoville-Bellevues („Das waren turf wars, Mann!, Gangster liefern sich Duelle mit Polizisten!“), über ausreichenden Schlaf (er viereinhalb, ich neun Stunden), über das Skateboardfahren („Welche styles kannst Du mir zeigen?“, „Bist Du schon 'mal auf das schräg-stehende Straßenschild gesprungen?“, „Es ist schon unglaublich, was diese Typen im Fernsehen mit dem Skateboard anstellen können!“), Englisch usf. und vergaßen darüber, warum wir eigentlich aufeinander getroffen waren - Ich, weil ich das powersliden nicht hinbekam, er, weil er nach Hause wollte. Zum Schluss begleitete ich ihn ein Stück des Weges, bis dieser sich für uns beide trennte. Danach hatte ich eine weitere Übung in Yoga (seit ungefähr zwei Monaten von einer Kollegin angeboten und von uns als Hausgemeinschaft äußerst wohlwollend angenommen) - ein anderer, weitaus weniger physisch-risikoreicher Balanceakt, was ihn aber nicht gerade weniger gefährlich macht. Die Kontemplation setzt beinahe automatisch ein, die Gedanken purzeln und während ich noch im halben Lotus krampfe, rinnen mir die Tränen über die Wangen. Ausreichende Konzentration auf basales Atmen beruhigen mich wieder und ich spüre dem Dehnschmerz noch zwei Tage später nach.

Die Gründe zur Traurigkeit erklären sich vielfältig, bei genauerem Hinsehen einseitig. Ich kann da zwischen öffentlich-vielfältig und privat-einseitig gut unterscheiden. Öffentliche Rechtfertigung:
  1. die durchaus als (wind-)schief zu beurteilenden Gefühls- und Lebenslagen meiner Klienten greifen über - sekundäre Traumatisierung und Grenzüberschreitungen - hallo, Ihr Hübschen! 
  2. In absoluten Stunden gemessen, arbeite ich viel; vielleicht Stress und zu wenig Spiel-Raum (Stichwort Skateboard)? 
  3. Meine Verantwortlichkeiten sind enorm gewachsen. Alles, was ich vergesse, verfolgt mich und begegnet mir wieder - frustrierende Erfahrungen wachsen durch die Enttäuschung anderer. 
  4. Der Ausgleich fehlt (Stichwort Spiel-Raum). Ich komme nach Hause, präpariere eine warme Mahlzeit, lese noch ein bisschen oder (häufiger der Fall) kümmere mich um die hausgemeinschaftlichen Notwendigkeiten und gehe erschossen ins Bett. 
  5. Ich bin zu wenig unter Menschen. Das Soziale an meinem Leben beschränkt sich auf die Arbeitskontakte und wird nur manchmal unterbrochen, wenn ich auf der Straße / in der Kaufhalle oder im Café (selten) bin. Die bereichernde Erfahrung der mitgeteilten Perspektive von anderen oder auch das Adressieren von Gedanken an andere bleibt aus. Letzteres ist allerdings eine selbstbestimmte Angelegenheit. 
  6. Und vielleicht noch als Ergänzung: Musik und Tanz. Mir fehlt das Studien-Freitagabend-Ausgeh-Programm (wenngleich ich es nicht immer nutzte - es ging um das bloße Angebot). So ziemlich alles, was Innerstädtisch passiert, ist musikalisch nicht nach meinen Geschmack. Da bleibt dann nur die Kopfhörerdisko im eigenen Zimmer (was nicht einmal annährend ähnliches Erleben produziert, selbst wenn ich versuche, die Lichtquellen schnell an und aus zu schalten).

Um ein bisschen um den privat heißen Brei herum zu reden: es herrscht Stille im Wald der digitalen Kommunikation. Dabei meine ich nicht so sehr meine Eltern (Mama, Papa, Ihr seid unheimlich fürsorglich, wenn es darum geht, für mich da zu sein und das ist in seiner gesamtheitlichen, überbordenden Wirkung etwas von schlecht-zu-verbalisierendem, aber höchstem Stellenwert.); ich meine die tiefen, selbst-bestimmten Beziehungen, die mich ebenfalls auszeichnen und tragen können, die mich stabilisieren oder die mir überhaupt Halt geben.

Was wäre ich ohne die mir zur Verfügung stehende Sprachlichkeit? Elendig gelangweilt. Aber was bin ich ohne den Austausch von Gedanken-welten? Elendig einsam. Und schließlich lande ich bei dem, was mich betrübt - einer gedanklichen Impulslosigkeit, die mich selbst unter der Bettdecke frieren lässt. Ich spiele nicht das name-and-shame-Spiel und ich will das implizite Appell gar nicht. Aber ich spreche von mich bestimmenden Gefühle, die mir seit einer gewissen Zeit tiefes Kopfzerbrechen über den vielen Fragezeichen bereiten (das 'Zerbrechen' ist wörtlich zu nehmen; es beginnt hinter der Stirn und vollzieht sich bis zum Nasen-Wangen-Bereich, streckt sich bei Kälte aus und könnte, glaube ich, wäre ich ein emotionalerer Mensch, durch ausgiebiges Weinen und Weinen und Weinen kuriert werden. Vielleicht).


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2013-05-11

Informality. Again. And Autumn.



Maybe you remember my post about Zamimpilo? The time is just right to remind you about it ...

I spent my day in Braamfontein today and I must say: I was not aware that there is another gentrify-related spot in the city with a sense of community (the other), but now I am (thanks to).

While drinking the morning coffee (there), I browsed through articles concerning the topic of a project series coined "Informal Studio" (this links to the former project in Ruimsig). The Goethe-Institut and the University of Johannesburg cooperation addressed this last year: Marlboro South, a small squatter slip located between Alexandra and Marlboro Gardens, created during Apartheid-heydays as a buffer zone between rich, white suburban and township life (other links: here, here, and here). 50 architecture students were involved in it and tried to experience something the project director called "in-situ upgrading". Over the course of seven weeks they met with residents and documented (photographically, with interviews, with videos, in mapping approaches) how the community is organised, how it 'works', what can be done about it (improved?). 

It is always interesting to read and see how communities develop out of nothing. Marlboro is special, as Ares Kalandides (inpolis) describes (taxi ranks) it in his mini-blog-series about informality (settlements) in (art) and (architecture) around Johannesburg out-of-his (white, european) perspective.

But still: the gap between Braamfontein and Marlboro South or Zamimpilo could not be larger - actually it can be named nearly insurmountable.
Maybe this refers also to my own impressions, f.i. in Hillbrow (as described here). It is not so much the missing infrastructure, because this seems to be a misunderstanding (some residents say, that they would have access [the wide sense] to meet their needs, getting water and electricity for free). It is more a lack of integration. Those fifty students needed to be admitted, to some kind of guidance and guard ("Right of admission reserved"), they needed someone with knowledge to the languages and networks, otherwise they would have been chased out of this area as if every stranger would be a transgressive intruder (what she/he is when you put on your philosophical glasses), as if the area would not be a public space (anymore).

So, how is it possible to live together, even if different in origin and socialisation etc., how to acknowledge differences while tolerate their consequences (materials, electronic devices, access [the wide sense again] through constant jobs)?

The difference starts in everyday life: having a coffee in De Beer Street, having a look over the city (Carlton Centre for starters to gain knowledge of its basic architecture), having more airtime than R5, having supplies at home versus the diametric opposite.

During the afternoon coffee, a flock of kids under ten years of age came to me with a paper list on which I was asked to sign and, after that, donate an amount of money to the Drum Majorettes, so that they can invest in proper uniforms.
I rejected their request, because I found it cruel to send children for money. But if asked about that they said, they are collecting the money because they like their centre where they would have more fun than at their homes. So, what is cruel now? Predicaments, all over.

PS The weather is perfect by now: brisk, chilly nights (temperature drops to 3°C) and warm, windy days (above 20°C) with a sky covered by racing clouds and a low sun which sends out a slow, shivering light, its beams touching the skin only from time to time, which makes Autumn so wonderfully, desirably unsatisfactory.


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2013-04-28

Architektur. Und Leben.



"Architecture is too slow to solve problems!", Cedric Price, 2001.
Da ich mehrfach und in kurzer Blöße angedeutet habe, wie prekäre Wohnsituationen in Johannesburg aussehen, möchte ich dem Themenkomplex des Wohnens und der Architektur des Wohnens etwas genauer nachgehen.

Ausgangspunkt sind Stadtspaziergänge, persönliche Berichte über Wohnlagen und meine Hausbesuche, die mir wieder und wieder faszinierend zeigen, wie sich das Leben in Johannesburg eingerichtet hat, wie aus einer weißen, kleinbürgerlichen, calvinistisch-prüden, erzkonservativen Goldgräberstadt der Apartheid eine afrikanische, verzweigte, mehr-und-ambiguitiv-schichtige Metropole wurde.

Mich interessieren dabei nicht, wie gated communities von innen aussehen. Oder was in Großraumbüros in ganzen Büroetagen in monumentalen Bürogebäuden geschieht. Ich suche Mehr-Parteien-Wohnhäuser auf, darunter auch solche, die als Hochhausungetüme verschrien sind.


"Architektur, das sei von Allerwelt (commodity), Stabilität (firmness) und Wohlgefallen (delight)"
Z.B. meine Neugier für den Ponte City Tower. Sie ist ungebrochen, gerade weil ich ihn nicht aus meiner Sicht herausnehmen kann, denn ich begegne ihm täglich. Und er büßt keinerlei Wirkung ein, nur weil Presse- und andere Stimmen urteilen, man könne in ihm erfreulicherweise wieder wohnen.

Was ihn interessant macht, ist sein rundes Dasein: wie fühlt es sich an, in einen Zylinderschacht zu steigen, der 173 Meter in die Höhe schießt? (Link zu google books; Norman Ohlers Ponte City)

Oder heute: Rosaley Court, Pretoria Street, Hillbrow. Ein unscheinbares Gebäude, das durch seine offene Tür (mit unbeabsichtigt einladender Wirkung für meine Neugier) Blicke gewährte. Mitten im Tosen der Verkäufer und ihrer Läden, öffnet sich eine Welt, ganz zufällig und nur, weil eine Frau ihren Wäschekorb hinein brachte und das Gitter zu schließen vergaß. Eine Marmortreppe und scheinbare Ordnung locken. Die Androhung von Gewalt findet sich erst in der Sprache eines ungemütlichen Hausmeisters wieder, der an meinem Rucksack mehr interessiert ist als an meinen Fragen. Er sagt mir noch direkt ins Gesicht, dass die Leute hier keine Fremden mögen. Zwar muss ich daraufhin nicht über den Feuersteig fliehen, aber in gemäßigter Eile verlasse ich das Haus.



Ein paar Krümel an Information seien erwähnt, obwohl ich mich auf sie nicht verlassen kann, weil meine Haut weiß ist, ich nach Geld aussehe und Angebote immer Verhandlungssache zu sein scheinen. Bachelor-Apartments seien nicht verfügbar, dafür Wohnungen mit mindestens zwei Schlafräumen. Grundpreis R4000. Die Feuertreppe kann benutzt werden, die Aufzüge sehen rumpelig aus, weshalb ich sie ausließ. Die Gegend ist verschrien und ohne fehlerfreies Stadt-Zulu nicht gefahrenfrei. Meine Hautfarbe schließt mich aus - bei den Kindern bin ich nur der mzungu und mit großen Augen schauen sie mich an und mir nach. Bei Erwachsenen wecken meine eventuell versteckten Güter Begehrlichkeiten. Meine einseitige Sprache macht mich verwundbar.

"Jede neu eröffnete Baustelle ist ein Bataillon, jedes fertige Gebäude eine gewonnene Schlacht!", Lyautey.

Aber was ist Hillbrow? Ein multikultureller Bezirk des sorgenden Zusammenlebens? Eine graue Zone der Rebellion? Das war er vielleicht einmal. Gewaltakte sind häufig, die Straßen werden nicht nur nachts, ab einem bestimmten Einkommen und Status, gemieden. Ein Kollege sagte mir, er zöge nie nach Hillbrow, zu viel Spannung, zu viel Gefahr. Alles zu umgehen, wenn ein Gehalt Vorsorge erlaubt. Denn diese Vorsorge wird sichtbar, sobald der erste paycheck eintrifft. Wie kann jedoch derart eine Gemeinschaft entstehen, wenn so etwas wie die Basis, die nicht aus Hillbrow hinaus kommt, diejenigen verunsichert, die gewillt sind, etwas zurückzugeben? Wie wird eine Beziehung möglich, die über die Menschen in Wohnungen hinaus geht? Etwas, das einlädt, anstatt auszuweisen?


Hillbrow in den 1970er. Foto aus einem argentinisches Reisemagazin.


Als ich heute den Artikel "The New Apartheid: Gated Communities" aus ZA Difference las (Ausgabe Vol. 2, No. 2, January 2011), wird geschrieben, wie sehr diese Form des Wohnens auflebt und dass diejenigen, die Geld haben, sich einkaufen und wegschließen. Der Bogen zwischen alter Apartheid, der Vermischungen per Gesetz untersagte, und neuer, ein- und ausschließender Apartheid durch das Budget wird gespannt. Vergessen zu erwähnen wurde, was sie noch bedingt, diese neue Apartheid: den Ausschluss aller Nichtarmut aus der Armut, weil zu viel im Argen dazwischen liegt, als dass Brücken gebaut werden könnten. Insofern ist Hillbrow für mich ähnlich schwierig zu durchdringen, wie Houghton für jemanden aus Hillbrow. Es sei denn, Geld.

Ein anderer Kollege sagte mir, dass ich eventuell den Grad der materiellen Unsicherheit unterschätzte, wenn es um den Großteil der Südafrikaner ginge. Er gab mir diese Antwort, weil ich in einer unserer Besprechungen meinen Unmut darüber äußerte, dass ein Mitglied eines Fußballteams, mit dem "meine" Mannschaft schon länger freundschaftliche Testspiele veranstaltete, ein Telefon unserer Mannschaft stahl. Ich konnte nicht verstehen, wie sich diese Dinge vertragen, wie hochemotionaler Fußball, der freundschaftliche Bande entstehen lässt, völlig außen vor bleibt, wenn es um so etwas Nichtiges, wie ältere Mobiltelefone geht.Vielleicht hatte er Recht. Ich unterschätze stets neu, was es heißt, hier zu leben.

Insofern erlebte ich heute eine reale Entsprechung einer Warnung Thothos (und so vieler anderer): Neugier entsteht durch das sichtbare Geheimnis, auch wenn es nur in Form einer Tasche daher kommt.

Die Faszination am Verfall kann sie mir dennoch nicht nehmen, diese Neugier, der nur meine eigene Neugier gegenübersteht. Wenn ich durch die Straßen streife und mir ausmale, wie z.B. unfunktionale Schönheiten von Gebäuden aussahen, als sie noch per architektonischer Intention gebraucht wurden (Shakespeare House, The Majestic, The Carlton, Danziger House), kann ich nur stehen bleiben, verharren und vom schnellen Schritt abschweifen.

Ich sehe und bin gefangen in prä-postmoderner Vorstellung, in Zeiten der per Hand verlesenen Pakete, als das Bakelittelefon noch als Standard zukunftsweisender Kommunikation galt. Ich bin eine Auffälligkeit in meinem statuenhaften Sein, denn alles andere ist Bewegung und Rauschen und Toben und Vergessen.


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2013-04-09

Was ist Zuhause?


Die Wäschetrommel, sie rotiert, in ihrem Innern das Weiß, das wieder Blüte wird, weil ...

... Ich muss gehen. Und es fällt mir schwer. Seit ungefähr drei Wochen habe ich in einem anderen Haushalt gelebt, in einem anderen Haus, in einem anderen Leben. Katzen gab es. Und Schildkröten. Ein Auto. Eine Waschmaschine. Einen Gasherd. Unbegrenztes Internet. Und Stil. Davon viel.
Ich muss also gehen. Wirklich? Ich ertappe mich bei der Fantasie, dass die Besitzer mich zur Bleibe bitten. Ein Zimmer wäre da, das Auto, "es muss gefahren werden". "Ich hätte mich gut geschlagen, überragend". Jedoch, ich weiß es anders, ich habe meine Gespenster zu jagen, habe wieder zurück zu finden in das Vorherige, wo häufig alles irgendwie herum steht und allein mein Zimmer das ausdrückt, was ich als ansprechend empfinde.

Im Hintergrund läuft langsamer Jazz zum Ausklang und die Katzen tanzen dazu. Ich schwinge ein bisschen mit ihnen. Auch sie begreifen, dass etwas Vonstatten geht, aber noch nicht ganz was. Sie merken nur meine Nervosität, meine Anspannung, meine zu hastigen Schritte, mein Auf und Ab. Wie ein Panther.

Ich kehre zurück in ein Haus, das sich im Prozess befindet, immer wieder neu, von Jahr zu Jahr. Die Konstellationen ändern sich bis auf eine Komponente, aber das ist die Minderheit, zwei Drittel gehen, zwei Drittel kommen. Ich bin noch vier Monate von meiner Rückkehr entfernt. Ich zähle, ich gebe es zu.

J. ist gestern nach Deutschland geflogen, Besuche und Konferenzen, mehr Arbeit als privat. Und doch: Eifer- und Sehnsucht meinerseits.

Und als ich U. kennen lernte, erzählte sie mir von ihren Berliner Jahren. Es sei gut gewesen, auch anstrengend, sehr. Doch am Schluss der Entschluss, zurückzukehren. Warum? Weil sie ihre Stadt vermisste. Ich fühlte mich ihr verbunden.

Also, auf ein ander Mal, auf ein Neues, auf ein Wiedersehen, auf die Wiederholung.

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2013-04-07

Spazieren II


Gutes Haus, Schlechtes Haus: Bezirksansichten Yeoville-Bellevues

Als ich vor Monaten durch die innere Stadt lief, willens alles, aber mit Plan, aufzusaugen, was mir in die Quere gerät, erschütterte mich die Tatsache, dass meine eigentliche Intention, bestimmte Blöcke - diese Häuserfronten der Geradlinigkeit -  allein abzuschreiten, an meinem eigenen Tempo und der multiplen und daher bunten bzw. verwirrenden Nutzung scheiterte.
Ich marschierte über das zuvor akribisch Eingeprägte hinaus, weil ich mir doch sicher war, dies könne einfach nicht das Ende einer Straße sein, die ich so klar und zweidimensional-kartiert vor dem inneren Auge sah. Und dann war es das doch, aber ich realisierte es erst als alles zu spät war und meine Füße weiter waren als meine Augen und mein Verstand. 
Ich glaube, es liegt dabei nichts Ungewöhnliches vor, denn wenn es so etwas wie ein Paradebeispiel für aufmerksamkeitsbezogene Ablenkungen und inflationäre, die Geistesgegenwart einschränkende Überflutungen gibt, dann ist die Innenstadt Joburgs perfekt zur Illustration geeignet.



Ganz anders ging es vor Kurzem vonstatten, als der Blogger und Yeoville-Bellevue-Polit-und-Community Aktivist Maurice Smithers zur "Hausbewertung" aufrief und forderte, durch das Quartier zu gehen und dabei den Stand des Verfalls bzw. der Schönheit und der Erweiterungen von Bebauungen sowie deren formelle oder informelle Nutzung zu dokumentieren.



Die Idee ist ambitioniert und zugleich ein Symptom der ungenügenden stadtplanerischen Mittel. Was Maurice macht, ist eigentlich Aufgabe der Stadtverwaltung, aber diese kann oder will nicht.



Vor ein paar Jahren hat Maurice eine Datengrundlage für diese Art der Bezirksdokumentation geschaffen: er sandte drei Dokumentationshelfer aus, um einen mehrseitigen Bestandskatalog auszufüllen, der viele Kriterien enthielt, um "von außen" auf Objekte wie Einfamilienhäuser, Mehrfamilienhäuser, Wohnblocks usf. zu blicken und sie ihrem Zustand nach zu bewerten. Die Nutzung des Objekts wurde aufgezeichnet sowie ein Verweis auf mögliche Spielarten der Ausgestaltung vorgenommen, z.B. "Späti [lokal: Tuck shop oder Spaza] ist ein Bretterverschlag bzw. ist im Zustand der Entstehung bzw. hat bis [Uhrzeit] offen", "Bordell oder Gästehaus ist zugeparkt" oder "Balkons werden als Wohnräume genutzt".



Alles, was von Außen gesehen werden konnte, wurde in quantitativer oder kommentierender Form niedergeschrieben. Diese Art von Dokumentation war sehr aufwändig und konnte nur durch externe Gelder ermöglicht werden. Da aber politischer Aktivismus im Sinne der Nachbarschaft davon lebt, dass sich Menschen unentgeltlich zusammen tun und etwas Gemeinsames für den Stadtteil oder gar Bezirk unternehmen, in dem sie leben, fragte Maurice einfach in einem Mail-Verteiler, wer am Soundsovielten Zeit für das Projekt hätte. Ich nahm teil, aus Neugier und aus Verbundenheit.



Als ich beinahe pünktlich vor Maurice' Haus stand, warteten schon weitere Engagierte. Nach einer Weile wurde geklingelt und ein wohlgelaunter Maurice öffnete und wies uns in seinen Garten, zur "Projektplanung". Weniger als zehn Personen nahmen teil, was für Manche ein Grund zur oder aber eine Bestätigung bereits vorhandener Besorgnis über den Stand nachbarschaftlicher Aktivität war. In solcherlei Besprechungen entsteht wohl immer eine Mischung aus Empörung und Litanei, persönlicher Neugier und wohlmeinendem, bestärkendem Schulterklopfen. Alsbald wurde der ursprüngliche Katalog in seinen Ausuferungen begrenzt und Klemmbrett-tauglich ausgedruckt, Zweierteams bildeten sich, die eine Seite einer Straße übernehmen sollten und zugleich dafür sorgten, dass eine gewisse öffentliche Präsenz geschaffen wurde. Die Dokumentation sollte nicht versteckt stattfinden, damit andere Bewohner sehen, was da gemacht würde und endlich beginnen zu fragen und zu denken und eventuell mitzumachen (so eine geäußerte Forderung eines anderen Teilnehmers). Wie bei so vielen Initiativen ist ein formuliertes Ziel, Bewusstsein für Probleme zu schaffen und aktiv zu werden, um Lösungen zu finden und dabei möglichst viele Menschen zu erreichen.



Maurice versorgte uns auch mit den nötigen Informationen, warum solch' eine Dokumentation - neben der Öffentlichkeitswirksamkeit - nötig sei: um vor dem Planungskomittee der Stadtverwaltung "harte", d.h. statistische Indikatoren für den Wandel von Yeoville-Bellevue zu präsentieren und dieses für Interventionen zu gewinnen. Spezifische Fragen drehen sich dabei um registrierte vs. unregistrierte Spätis, allgemeinere Fragen um die Sicherheit im Bezirk (siehe).



Nach vielen kleineren Diskussionen im Team um die Bausubstanz und die Bestrebungen eines Erhalts durch die Bewohner eines Objekts war nach zweieinhalbstündigem Gehen und Stehen klar, dass es in einem Viertel des Bezirks nicht so düster aussieht, dass von Moloch und Schlimmerem gesprochen werden müsste. Gärten wurden gepflegt, in die Sicherheit der Objekte investiert (Zäune und Strom) und Mülleimer benutzt. Weniger Häuser erhielten das Etikett "arg schlimm bzw. für Bewohner gefährlich".

Interessant ist, dass es eine Art Theorie und viele davon abgeleitete Hypothesen zu Yeoville-Bellevue gibt, die sich als Grundlagenerklärung heranziehen lassen: der Doppelbezirk ist ein Migrationszentrum mit allen Implikationen eines solchen. Für dieses Projekt lautet das Hypothesen-Zauberwort "Fluktuation".

Der Umzug, Zuzug oder Wegzug ist ein Dauerprozess im Bezirk, der Kollateralen mit sich bringt. Eine davon ist die küchenpsychologisch plausible Annahme, dass bei großer Unsicherheit in Bezug auf die Zukunft, d.h. das zukünftige Wohnen mitinbegriffen, jedwede Art von Objekt-Instandhaltung unterlassen wird, weil ganz und gar nicht klar ist, ob diese Investition Früchte trägt. Bei ohnehin kaum vorhandenem Geld in den Familien, wer kann es sich leisten, die Küche neu zu tapezieren oder gar Vorgartenpflanzen zu pflegen? Meist hat eine Wohnung einen Hauptmieter, der seine Mietverantwortung an seine Untermieter abwiegelt und dabei noch Profit macht. Diese Art der Vermierunt wird breitbandig toleriert und als Geschäftsmodell angesehen - wer es sich leisten kann, mietet einfach eine Wohnung. Die Hausbesitzer leben im gleichen Modus: das Objekt erbringt nur Geld, weil alles vermietet ist und nichts in die Pflege investiert wird. Bei allzu groben Auffälligkeiten (Dacheinsturz) erfolgt der Verkauf. Es scheint, als wären die Zeit der Verbindlichkeiten vorüber.

Bei unserem Spaziergang kartierten wir nur den Nordosten von Yeoville-Bellevue, der vielleicht als der (einzige) Teil angesehen werden kann, der nicht das Zentrum, aber viele Dauerwohnende hat. Es stehen viele Einfamilienhäuser darin und wenige Geschäfte, auf den Straßen herrscht ein gewisser Grad an Sorgsamkeit und es wird klar, dass Houghton (im Norden) und Bellevue-East (im Osten) mit ihrem prunkreicherem Dasein Einflüsse hatten und haben.


Mit dem verbalen Input aus unglaublichen 60 Jahren Yeoville-Erfahrung und der Hoffnung auf weiteren Aktivismus und weitere Samstagnachmittage, an denen ich mehr vom "meinem" Bezirk kennen lerne, verabschiedete sich alle freundlich und entschlossen voneinander. Was blieb, sind Impulse und Bilder und Geschichten von Orten, die ich noch nicht kannte.


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2013-03-31

Ich, im Dornröschenschlaf meines temporären Heimes, umgeben von den mich umgebenden, ästhetischen Wesen und ihren Werten: Ruhe, Entspannung, Eleganz, Anschmiegsamkeit und autonome Bindung.

Ich befinde mich im Modus des Denkens und der Aufnahme, ich überlege meine expliziten, verbalisierbaren Fähigkeiten (dank) und rekapituliere meinen professionellen Lebensverlauf (ebd.).

Was bin ich? Und was will ich? Am Liebsten: schreiben. Aber da verfalle ich in den Reigen des Pessimismus derjenigen, die dafür bereits alles gaben und geben und dennoch nicht derart davon leben können, dass sie andere Themen wählen könnten, über die sie schrieben (Vgl. für das Einzelschicksal; siehe hier für den Zwangsoptimismus und siehe da für den Niedergang der Vorzeigemacht der nachrichtlichen Geschäftswelt).
Was ich dabei vernachlässige, ist der Blick auf das Fokusfeld: es ist nicht der Journalismus, der mich anzieht, es ist die Autorenschaft an sich. Es ist die Selbstbestimmung, es ist das Wesen der Nostalgie (wie bei).
Und natürlich, wie könnte es anders sein?, die Verklärung, die Selbstbetrug bedeutet. (Das Wunderbare an der Illusion ist die spiegelhafte Grenze zur Realität: was und wie viel kann ich von einem Leben wissen, das ich nicht führe? Vielleicht nur die Projektion des gegenwärtigen Standes?)

Als ich heute willfährig die Seiten von Suchmaschinen-gefundenen Berufsangeboten durchlief, fiel mir auf, wie eng mein Kreis der Suche, wie klein die Sicht auf meinen Horizont geworden ist : "Psychologie" als Dauerstichwort jedweder Bemühung. Gewiss, das Feld ist groß und ich kann im Prinzip alles machen. Aber bei genauerer Betrachtung der Inserate wird zu häufig der HR-Bereich beworben und danach das Praktikantendasein (gegen das ich nichts per se einzuwenden habe, das jedoch den Nachteil hat, sich in die unsicheren Gefilde des psychologischen, markttauglichen Mittelstandes zu begeben, der wirtschafts-, und daher gewinnorientiert arbeitet).
Ich pflege zu sagen, dass mein psychologisches Rückgrat etwas ist, was ich nicht mehr loswerden kann. Aber um Zeit für eine Autorenschaft zu haben, werde ich mich von der beruflichen Perspektive der Psychologie trennen müssen [glaube ich] (auch hier hilft Woody Allen: Vicky Christina Barcelona, Seite 34-35; Link zum englischsprachigen Drehbuch; pdf, 212K; der entscheidende Satz: "No, but he doesn’t publish. That’s the point."). Daher gilt es, etwas zu tun, was mich finanziell leben lässt und mir Zeit gibt, nichts zu veröffentlichen und doch zu schreiben.

Verschiedene Alternativen habe ich bereits ausgeleuchtet: das Gastrogeschäft - möglich, aber nicht nachhaltig. Die erforderte Menge an Stunden der physischen (und damit leider auch psychisch-verlangenden) Arbeit ist nicht in Einklang zu bringen mit der geistigen Freiheit, die ich mir vorstelle. Zudem bedingt die Gastronomie geradezu apodiktisch (und informell) die gastronomische Gemeinschaft, die wiederum ein Kontingent fordert.  
Die Universität - möglich, aber auch nicht nachhaltig. Wer arbeitet an der Uni? Dem Studenten mag man Müßigkeiten vergeben, aber den Angestellten? Der performative Wert der Universität ist in der quantitativen Quote der Artikel bemessen. Die Uni verlangt (mittlerweile?) genauso die Absorption wie alle anderen 'player' auch. Es scheint kaum ein Entkommen aus meinem Diskrepanzerleben von Zeit und Geld zu geben - wer Geld durch Arbeit einnimt, verliert die Zeit für das, was kein Geld produziert und in meinem Willen und meiner Vorstellung wichtiger ist als alles Geld der Welt.
Die klinische Psychologie ist für mich einnehmend, beinahe schlundartig. Ich komme nur dann zu anderweitigem Denken, wenn ich freie Tage habe oder kurze Nächte (beides hat Grenzen). Wie hat das nur Tomas Tranströmer gemacht? Für ein Doppelleben scheint mir die Kapazität zu fehlen, was mich eher beim Murakami-Modell* landen lässt (* "After college, Murakami owned a small jazz bar in Tokyo for seven years." Auszug aus seiner Biographie von der offiziellen Webpräsenz). Aber dann wiederum: seine Zeit ist nicht die meine, seine Gesellschaft nicht meine Gegenwart.

Also doch Tranströmer?
"Manche haben gesagt: Der arme Tranströmer. Wie viel mehr hätte er schreiben können, wenn er nicht Geld als Psychologe hätte verdienen müssen" (aus der Frankfurter Rundschau, 14.3.2012, Ausgabe 63, S. 30-31, Rubrik: Feuilleton; via)

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