2013-09-09

Das Danach in kleinen Schritten


Obschon betrachtet und festgehalten, verging der Frost schnell. Und die nächtliche Kälte wurde erträglich, weil der Tag wärmte. Tränen gab es nicht, aber das bedeutet nichts. Alles fiel schwer. Selbst das Schreiben. 

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Es ist absurd lange her, dass ich hier etwas geschrieben habe, und dass, was ich schrieb, diente lediglich der Ansage für das Hiersein, war nicht wichtig, nur Signal. 
Ich habe mir Gedanken darüber gemacht, was jetzt mit dieser Adresse passiert, was ich eigentlich noch einfließen lassen möchte, was ich halbveröffentlich stehen lasse. Ich dachte daran, dass Gleiche zu versuchen, wie auch schon in Johannesburg, d.h. das Beschreiben der Andersartigkeit im reverse. Allerdings ist die systemische Konsistenz dieser mitteleuropäischen Welt so ergreifend, dass ich Ausfälle habe, sie beschreiben zu können. 
Neulich, in der Schweiz, Basel, komme ich doch zu Formulierungen in einem Straßencafé: 

Himbeere. Süße. Nach dem Spezialitätenkuchen einen Schluck Kaffee, der eine kleine Sinfonie (sin gleich Sünde?) auslöst. Als ob die Nuß lebendig wird. Dann wieder Rauchen. Wenn das das einzige Leben ist, das ich zu geben im Stande bin? Aber ich habe auch das Gefühl, daß ich mich übernehme, dass das alles nicht stimmt, was ich tue, denn egal, wie viel ich auch abgebe, ausgebe, weggebe, ich höre nicht auf, zu bekommen. Eigentlich eine Hölle: zu kriegen, Schuld darüber zu fühlen, nichts zurück geben zu können. Johannesburg war einfacher, regulierter, klarer, voller Kontrolle und mit schlichter Dankbarkeit versehen über die kleinen Dinge. 
Ich sehe zu viel 'Gesundheit' in dieser konsumierenden Gesellschaft. Strenge Diäten und große Einkaufstüten, die Blicke abwägend, skalierend, ob nicht doch eine Spur der Anerkennung im Blick des anderen liegt. 
Ich sehe natürlich auch Armut, denn die gibt es überall. Hier in Jogginganzügen, auf der Flucht, im Rückzug begriffen, nur nicht zu viel zeigen. Schnelle, ungelenke Schritte an der Kirche vorbei. Es gibt einen Hauch der Trennung zwischen wohlständiger und armer Schlankheit. Die Schärfe des Gesichts, das sich mit weiteren Mitteln kleidet gegenüber den Furchen schlafloser Nächte.
Jugendliche Ästhetik: das Einfach-so-sein, das lebendige unverfälschte Vibrieren von Haut, das nicht zu verhindern ist. Dagegen das reguläre Alter mit seiner Erscheinungen. Alterssprossen, Sonnenbrillen, Schirmmützen, die Flucht in den abgegrenzten Schatten, der Hitze wegen. Die Zwischenstufen: klassisch anzugig bis flott und bunt. Wohlstandsbäuche vor sich her tragend, immer noch präsentabel. 

Aber das sind Kleinigkeiten, Wegbeschreibungen. Mein Tun erschöpft sich normalerweise im Bewerben, ein schwerfälliger Prozess, denn meine Ungeduld ist rasend. 
Ich versuche, meine Bahnen wieder zu finden, meine Stabilisatoren: der eigene Raum, die eigene Zeit, das eigene Tun. Wobei meine Raumansprüche gerade mit so Vielen übereinstimmen, dass Konkurrenz unvermeidlich ist. Das Lächerlichste (zugegeben in einer sehr schönen Wohnung): Lichtenberg, Wotanstraße. Die Milde des Abends spannt sich an, weil vielleicht siebzig Personen vor einer Haustür warten. Die bisherige Mieterin, überfordert von der Menge, starrt ängstlich in fremde Gesichter, die durch ihre Wohnung stöbern, anfassen, anschauen, ausfragen. Kein Gesandter der Genossenschaft unterstützt sie. Der Besichtigungstermin wurde im Internet veröffentlicht.

Es sind nur fünf Tage, dann fahre ich zum Nachseminar nach Bielefeld. Das letzte seiner Art für mich als Freiwilliger. Erwartungen? Nur an das Wiedersehen, an das Lachen, an den kunterbunten Austausch von Nicaragua bis nach Mosambik. Vielleicht noch an das 'gender'-Seminar. 

Ich frage mich wirklich, was Jozi macht? Sophiatown? Die neuen Freiwilligen? Die gewohnten Klienten? Das alte, neue Lied?


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