2012-10-28

Neue Zeiten.

Aufbruch und Abbruch, beides gilt. Während ich noch den Narrativen der Geflüchteten zuhöre, drehen sich in mir die Gedanken wie der Magen um. 

Das Zitat geschah mir vor ungefähr zwei Wochen, als ich auf einem Höhepunkt meiner negativen Gefühle der hiesigen Arbeitswelt gegenüber in eine Richtung trieb, die einen Abbruch andeuteten, statt konstruktive Lösungen zu suchen. Ein anderes Beispiel: 


Ich fühle mich ausgeschlossen. Ich meine das nicht passiv, sondern eher als eine sich gegenseitig bedingende Beziehung. Zum einen aus informativem Mangel. Zum anderen aus organisatorischer Sicht.Warum werden bestimmte Terminlichkeiten nicht mitgeteilt? Warum wird das Thema der Rollen und Ränge von Freiwilligen seit nunmehr Beginn meiner Tätigkeit immer wieder aufge- und ver-schoben?
Manchmal spüre ich einen drift, augenblickliche Transzendenz und Dissoziation. Die Momente, die lachend geteilt werden - ich steige aus ihnen aus bzw. erst gar nicht ein. Ich wende mich dem Innen zu, am Liebsten ohne je wieder zurück zu kehren. Aber dann erinnere ich mich neu, ganz langsam presst sich der Gedanke durch meine neuronalen Schichten: ich stehe unter einer gewissen Beachtung und Aufmerksamkeit, Blicke streifen mich, Menschen interpretieren. Und ich möchte nicht ganz aus der Reihe fallen, spüre den Gruppendruck, die Anpassungsleistung, die von mir verlangt wird.     

Mir geht es wieder besser, ich kann wieder mehr von mir vor anderen zeigen und mitteilen und das hat im Wesentlichen damit zu tun, dass die Möglichkeiten zur Verbalisierung häufiger gegeben wurden.

Seit drei Wochen durchlaufe ich mit einer Gruppe ein Training, das sich "Basic Support Skills" nennt. Themen dieses jeweils vierstündigen Seminars waren bisher:

  • "Selbstwahrnehmung"; Ergebnisse: 
    • meinen Baum des Lebens gemalt, 
    • meine theoretischen Verankerungen kritisch betrachtet, 
    • meine Stil-Tiere, Dämonen?, gefunden: 
      • eine Schildkröte (zieht sich zurück, agiert defensiv, hält sich von anderen fern), 
      • einen Elefanten (erkennt Probleme als Teil des Lebens, die gelöst werden können - das müsste vielleicht noch zur Wikipedia hinzugefügt werden im Absatz über kognitive Leistungen von Elefanten), 
      • eine Giraffe (steht über allem; fühlt sich zu sehr überlegen, als dass sie Konflikte betrachtete)
      • eine Eidechse (verhält sich ruhig, um Frieden zu wahren und wird dadurch zur Fußmatte), und 
      • einen Strauß (gestresst, aber er äußert seine Konflikte nicht)

  • "Organisatorische und persönliche Werte"; Ergebnisse: 
    • mein katholisches Erbe (erneut) unter die Lupe genommen, 
    • der organisatorischen Vision i.A. zugestimmt, d.h. auch ich versuche, gemeinsam mit der Organisation, dazu beizutragen, dass eine Gesellschaft wächst, die aus emotional gesunden Individuen, Familien und Gemeinschaften besteht, die zusammen für das Allgemeinwohl sorgen können
      • im Original: "[...] seeks to contribute to the creation of a society in which the emotionally healthy individuals, families and communities are able to work together for the common good of humanity"; 

  • "Beratertechniken"; Ergebnisse: 
    • wäre ich auf einem Boot, das sänke, ich meldete mich als einer der ersten, der nicht auf die einsame Insel hinüber gerettet werden wollte; der Gedanke dahinter: was passiert schließlich auf dieser Insel? Die Maximierung des Überlebens in Menschengestalt, sie wird sich Bahn brechen und ich will an diesem Versuch nicht teilnehmen, so stark interessieren mich gruselige Realfantasien nicht;
    • neben dem aktiven Zuhören, das ich wohl einigermaßen beherrsche, kann ich auch ziemlich gut, bei großer Anstrengung, unterbrecherisch sein.
Eine andere Möglichkeiten, mein inneres Treiben zu besprechen, war eine Rückmelderunde für das Büro im Osten (es liegt in Bertrams, einem Stadtteil im Osten; das andere Büro liegt im Westen der Stadt, in Westdene), in der ich von Schwierigkeiten sprach, die ich erlebe, wenn Klienten sich hartnäckig abgesprochenen Zeiten verweigern oder wenn sich Räume nur unzureichend für beraterische Gespräche eignen, weil ständig jemand herein kommt oder nachfragt, wann der Raum  wieder frei sein wird. Letzteres ist dann auch ein Grund, warum ich mich als sehr abgehetzt in der beraterischen Situation wahrnehme, als hätte ich gar kein Ohr für das Gegenüber, nur die provisorischen Minuten, um die grundlegendsten Fragen zu stellen. Der für mich augenscheinlichste Hintergrund: die ambivalente Anforderung an mich, gleichzeitig Freiwilliger und professioneller Helfer zu sein. 

Der Freiwillige in mir drängt auf den Service für die anderen Helfer, die natürlich in der Hierarchie der Organisation über ihm stehen. Er tippt Telefonnummern für den Chef ein, holt Akten aus den Schränken, schmiert Brote und verteilt Tee, Kaffee, neuerdings auch ganze Becher voll Milch mit Zucker (wobei alles mit Zucker serviert wird; ich vermute eine sehr, sehr klassische, kleinkindhafte Konditionierung und reserviere mir das vermutlich intellektualisierend-rassistische Vorurteil, das gewisse Reifeprozesse bei Menschen, die seit ihrer Kindheit mit stark emotionalen Konflikten, Trauma und Verlust konfrontiert waren und denen es in Südafrika als Flüchtlingen nicht wirklich besser geht, weil ihre Chancen aus gewissen Abhängigkeitssystemen auszubrechen, gegen Null tendieren; nicht dazu in der Lage sind, sich von den guten Spuren und Mustern ihrer Kindheit zu distanzieren: Zucker ist eine davon). 
Dieser Freiwillige ist dem Typisierungswahn nach ein Hund: er hört darauf, was ihm gesagt wird, arbeitet ab, was auf für ihn strukurierten Listen steht, ist eifrig und aufmerksam für die basalen dienstleisterischen Dinge. 

Dann der professionelle Helfer, mit akademischem Titel, Vorerfahrungen, etc. Er ist ein sich selbst strukturierender, autonomer Charakter. Er befasst sich vornehmlich mit der Formulierung von psychotherapeutischen Gedanken, er organisiert über das Telefon das "helfende Netz", kontaktiert Sozialarbeiter, andere Helfer-Institutionen und ist voll und ganz und in Ruhe und Gelassenheit im beraterischen Kontakt. Seine Aufmerksamkeit liegt nicht auf dem Tee und auch nicht auf dem Zucker, maximal in abstrahierender Einsicht (siehe oben). Er ist aufmerksam für die interaktionalen Phänomene, nimmt sich als erstes zurück, reflektiert über die mentalen Reaktionen, die die Gegenüber in ihm erwachen lassen, agiert planerisch und niemals überstürzt. 

Und wo bin ich? In einem Durcheinander zwischen diesen Ebenen. 
Manchmal, wenn ich bestimmte Kommentare höre, die nie direkt gesprochen werden, sondern meist Andeutungen sind - "ich kann mir gut vorstellen, dass es für bestimmte Menschen schwer sein kann, sich in diese Art von Arbeitswelt zu integrieren, gerade bei eher sturen und unbiegsamen/unbeugsamen Persönlichkeiten" -, gekoppelt mit dem Unwort des Jahres 2010, der sogenannten "Alternativlosigkeit" im Sinne der Anpassung an die Situation ("entweder die Integration oder der Untergang"), bringen mich zur Frage, wie sehr ich eigentlich von der Professionalität der anderen Helfer überzeugt sein darf?! 

Denn was ist Anpassung? Für mich mindestens zweigeteilt. Zeitliche Flexibilität im Innen und Außen, und darüber hinaus eine niemals alternativlose Umgebung. 
Ein wesentliches Ziel, das ich mir für meine Arbeit jetzt schon suche, ist, raus zu gehen aus der Bürosituation. Ab dem nächsten Jahr werden neue Projekte geplant und ich darf mich als Freiwilliger (!) daran beteiligen. Also plane ich alle meine Leidenschaften zu mischen und sie mit einer Gruppe von Heranwachsenden auszuprobieren: die Stadt erkunden, die Stadt nutzen, die Stadt kennen lernen. Ob Parcour, Spaziergang mit und ohne Ziel, mein bereits privat gestartetes Fünf-Cent-Projekt (die Straßen und Bürgersteige sind voll davon) - alles deutet darauf hin, dass ich mich nicht in vier Wänden einsperre, um psychosoziale Arbeit zu leisten. 

Mit dieser Vorstellung und Realisierung kann ich wieder arbeiten und mich besser fühlen.
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2012-10-14

Die Ruandische Hochzeit.

2012-10-13

Gestern war ein Hochzeitstag. Das klingt nicht unglaublich bewegend, denn wer, ausgenommen die Kleinsten, unbewusst Teilnehmenden, oder generelle Neinsager, hat noch nie eine Hochzeit erlebt?

Meiner Erinnerung nach ist es die vierte Hochzeit, an der ich als erwachsener Gast teilnahm und, das ist das eigentlich Überraschende, diese Hochzeit war nicht anders, als die anderen. Die Prinzipien sind nun einmal gleich, vermutlich weltweit, zwei Menschen geben sich das lebensewigliche Ja-Wort und vertrauen darauf, dass irgendwie "alles gut" wird und laden zu dieser optimistischen Stimmung ein paar Gäste und Zeugen ein. 

Dass die Umstände variieren, die Tänze andere sind, die Musik einen spezifisch-kulturellen Anstrich erhält, die Organisation in jeweils anderen Händen zu einem jeweils anderen Stil führt - alles vorstell-, alles denkbar.

Noch am Freitag wusste ich nicht einmal, wann und wo diese Hochzeit sein wird, wie Braut und Bräutigam heißen (ich kenne den Namen der Braut/Frau bis heute nicht), wie ich nach Midrand komme (circa 27km nördlich von Johannesburg) oder wie ich mir den "Service" vorzustellen habe, zu dem ich eingeteilt wurde.

Samstag, im Verlauf des Morgens jedoch, gab es Aufklärung. Mit dem Fahrrad zum "Mercy House" (Link zum Hausprojekt), Warten auf den Freund mit dem Auto, [endlich, denn das wünschte ich schon lange] im überdachten bakkie-Teil (Wiki-Link) eines Jeeps unangeschnallt mitfahren und den Wind und die Blicke der anderen Fahrer auf der Schnellstraße spüren und schließlich in Midrand landen.

Wie bei allen Begegnungen, die in erster Linie fremd für mich sind, gehörte zwar der freundliche Händedruck und das Erkundigen über die jeweilige Befindlichkeit zur Begrüßung unter den verschiedenen Gästen, aber der Bräutigam übersah mich geflissentlich und war in seine Anspannung derart vertieft, dass er mich stundenlang ernsthaft ignorierte. Beim Einmarsch in den im nüchternen Weißton gehaltenen Festsaal aber wies er ein Nicken auch in meine Richtung. Später dann, in dem Moment, als ich den warmen Sekt, in vorderster Reihe allen Publikums (dies war eine meiner Dienstleistungen für den Abend) knallen ließ und in die extrapolierte Flöte goß, legte sich auch ein kurzes Lächeln in seine Mimik.

Meine ersten erkundenen Blicke über das Hochzeitsgelände aber wurden durch andere Eindrücke gespeist. Alles war hier im Entstehen begriffen, selbst Bauarbeiter in Gerüsten bastelten noch an einer Hauserweiterung, ohne wirklich zur Hochzeitsgesellschaft dazuzugehören, noch für diesen Tag fertig werden zu können. Es schien fast so, als verliefen zwei Linien parallel zueinander: sich niemals kreuzend, autonom und ewiglich. Dabei war sehr eindeutig, dass das bearbeitete Haus gleichzeitig das des Festes sein würde.

Ein großes Haus war es, mit einem erdgeschossigen Saal, der ungebunden von der oberen Etage existierte, durch Gläserfronten mit Licht gespeist. Wer auch immer später dieses Haus nutzen wollte, er hätte ein Problem mit der nicht vorhandenen Verbindung der Ebenen. Der Rest des größeren Hauses war teilweise vermietet, verkauft, oder noch im Bauzustand. Es schien, als würde nur stückweise, wohnungsweise fertig gestellt, als ob erst der Transfer des Geldes für die jeweilige Erweiterung sorgte.

In dem Teil, der bereits bewohnt wurde, erkennbar am Dauerlauf des Fernsehers und den davor Sitzenden, gab es einen Raum, der aus Fertigküche und Wohnzimmer bestand, ein Bad und zwei Schlafräume. Das Bad enthielt zwar die wesentlichen Utensilien, die einen Raum zum Bad machen, aber, wie ein beträchtlicher Teil des ganzen Gebäudes, kein Licht. Dass dies spätestens in den Dunkelstunden ab der schnellen Dämmerung des südafrikanischen Tagesverlaufs zu einigen Toilettenproblemen führen könnte, daran wurde im Voraus wenig gedacht. Es gab auch Außentoiletten, die den Gästen gewiesen wurden, aber auch diese blieben unbeleuchtet und, das schlimmere Übel, papierlos.


Das grob zusammenhängende Grundstück war ein Verbund von Grundstücken, abgetrennt von der Außenwelt durch eine Mauer, Sicherheitspersonal und fernbedientem Eingangstor.
Alles zusammen genommen erschien es mir wie eine Ferienanlage, die zu spät erdacht wurde, um noch maximalen Profit heraus zu schlagen. Eine Minigolfrunde, die diesem Begriff in keiner Weise je gerecht hätte werden können, so uneben die einzelnen Kleingolfbahnen, ihre Löcher geflutet mit abgestandenem Wasser; ein Riesenschachfeld, auf dem auf schwarzer Seite Pferd und Turm, auf weißer Seite Königin und Läufer fehlten und das seit Jahren niemand mehr angerührt hatte, indiziert durch die Schnecken, die auf den restlichen Figuren krochen und die herab gefallenen Blätter, die die Farben der Felder überdeckten; ein halbwegs funktionales Tennis- und Ballfeld, zwei faulige Teichanlagen und ein trüber, abgestandener Swimmingpool säumten die Ränder, hinzu kamen Fitnessgeräte, die im Außen standen, aber nicht dafür gemacht waren, draußen zu stehen, zwei Esel und zwei Schafe.

David Adjaye fiel mir ein, der in mono.kultur sagte: "Wenn ich irgendwo hinkomme, sehe ich mich um und frage mich: Okay, und was bedeutet das alles hier?".

Eine Antwort darauf lautete: Improvisation. Alles deutete auf die improvisierte Nutzung hin, die nötig wurde, als das fehlende Geld zu deutlich auf die Bremse der Bauphase drückte. Oder aber eine ehemals geputzte Hotelanlage, die dem Verfall irgendwann einmal preisgegeben wurde, wurde von Einzelnen wieder bewohnt, dann mit einem andersartigen Geschäftsmodell versehen und nach und nach, je nach Kontostand, wiederbelebt.
Dass nun eine Hochzeitsgesellschaft den Saal mietet und das Gelände dazu, ist eventuell zu verstehen als Einkommensquelle, als Aufstockung des finanziellen Haushalts, sodass bald wieder Königin, Pferd, Turm und Läufer ihre Züge vollführen oder die wrackartigen Autos wieder fahren oder schwimmende Nixen und lässige Poolboys den ein oder anderen Martini hinunter stürzen, Lachen und Planschen und in Bond-und Hollywood-Manier "la belle vie", das schöne Leben genießen können.

Während meiner schweifenden und probierenden Blicke wurden wohl allerhand weitere Vorbereitungen getroffen, nur sah ich davon wenig und die Zeremonie selbst war noch längst nicht angelaufen.
So wurde ich zwischenzeitlich, noch währen während eine unvollständig gestartete Schachpartie lief, eingeladen, die Midrand-Shopping-Mall zu besuchen, um dort vor-zu-essen.
Midrand und die zentrale und damit prominente Mall sind Orte, die ich nicht wieder sehen muss. Kleinstädtisches und die sich wiederholenden Geschäfte, für die Jugendlichen auf den Straßen und in den pickups die Suche nach einem Ort, irgendeinem, für die Erwachsenen das Finden der Versorgungsmaterialien in Form von Wochenend- oder Monatseinkäufen in eben dieser Mall.

Zurück beim festlichen Geschehen begann bald der offizielle Teil, Braut und Bräutigam in Aufmachung, die Braut mit der Schleppe der Unendlichkeit, dem blumenbemusterten, trägerlosen Kleid und einem Schleier, sie größer als er, nicht nur wegen ihrer weißen, offenen Stöckelschuhe, der Bräutigam mit klassischer Austatttung, dem dunkelgrauen, silbermattgestreiften Einreiher, gelber, gestreift-glänzender Krawatte, blütenweißem, sonst schlichtem Hemd und ein paar schwarzmatten Oxfords. Der einzige, mir auffallende Kleidungs-faux-pas waren die weißen Strümpfe des Herrn. Aber vielleicht galt es auch als besonders schick, diese so reinen und unschuldigen Vertreter der Fußbekleidung zu tragen.

Als der ugandische Priester begann, seine Predigt zu halten, wurde quasi-simultan in Kinyarwanda übersetzt. Er schallte laut in das Mikrofon, sodass die von den Boxen wiedergegebene Lautstärke bei Weitem das sonst Übliche Maß an Verständlichkeit überstieg und, paradox die Verständigung eher behinderte als erleichterte. Inhaltlich sprach er von der Verantwortung des Mannes, seine künftige Frau zu beschützen, sie nicht allein zu lassen undsofort. Es war ein Singsang der Floskeln, die wohl jeder gute Priester wiedergeben muss, um vor einer Hochzeitsgesellschaft zu bestehen. Dabei war alles und jeder todernst, die im Bild festgehaltene Einschwörung eine Sonderlichkeit kurz nach der dreimaligen Wiederholung der Frage, ob jemand Einspruch erhebt ob der Verbindung dieser zwei Liebenden.

Danach gab es, laut einem Gast und an mich adressiert, einen sehr typischen Einblick in das "wahre Afrika": ein Tanz wurde angekündigt und allein vokal und mit einer Trommel begleitet. Drei Männer in gelben, schwarzgepunkteten, mit Federn versehenen Röcken und ebenfalls befedertem Kopfschmuck tanzten in den Saal, der Chor der Frauen ging voran. Danach tauchten drei junge Frauen auf, allerdings mit grüner Färbung der Röcke und schlangenförmigen Bewegungen in Arm und Bein. Die stete Wiederholung des musikalischen Hintergrunds verlieh dem ganzen die nötige Trance, um allein auf die Rhythmik der Tanzenden achten zu können. Schellende Glocken an den Füßen, stampfende Gestik, synchrone Komposition. Ein wundervoller Tanz, in dem sich bald die beiden repräsentierten Geschlechter gleichzeitig zeigten und, obwohl teilweise vermischt, nie dazu tendierten, ihre eigenen Repräsentation aufzugeben.

Da ich dem Servicebereich zugeteilt war, wurde mir der Einblick in den weitaus praktischeren Teil der Veranstaltung sehr schnell klar: die Betonung in der Versorgung der Gäste lag eindeutig bei Schnaps und Whiskey, denn davon gab es viele Flaschen, dann Bier in vier Sorten (allerdings kein Lager), das definitiv zu wenig werden sollte, dann Sprudelzucker, der noch nicht einmal für die erste Runde, geschweige denn als Whiskeybeimischung genug war.

Aber das alles machte nichts, denn das Publikum war geduldig genug und bis auf die informellen Praktiken der weisen, älteren Männer, die auf ein Bier schon vor offiziellem Beginn der Speisung an die Küche kamen und ihre Vorräte begutachteten und testeten, verlief der Ausschank problemlos. Das Essen war nicht übermäßig speziell, dafür aber so reichlich, dass jeder satt wurde. Haufenweise Reis, dann Kartoffeln, Möhren und Erbsen, eine Kiste voller Hühnergebratenem à la Kentucky Fried Chicken und der süße Abschluss, die Sahne-Zucker-Hochzeitstorte. An ihr lässt sich ein wesentliches Merkmal südafrikanischer Teilsamkeit illustrieren: nicht Dreiecksstücke oder dicke Schnitte wurden gereicht, sondern kleingeschnittene Würfel. Das gleiche Prinzip der Zerkleinerung gilt nämlich auch für Käse und Mortadella, die nicht scheibenweise, sondern raspelweise verwertet werden.

Nach wenigen Stunden im Dienst war ich geschafft und bat um Rückkehr in das Johannesburger Domizil. Die Sonne hatte mir zuvor einen Stich gegeben und ich war müde und wollte schlafen. Eine schnelle Verabredung ergab sich daraufhin, ich stieg in Eile in ein Auto und hatte keine Gelegenheit mehr, dem getrauten Paar meine Ehrerbietungen zu machen, dafür aber gerade noch genug Zeit, um die Segenswünsche eines Priester zu empfangen und mit ihm eine E-Mailadresse zu tauschen.

Die Fahrt nach Johannesburg über das nächtliche Sandton und die Sicht auf den Strom alles Elektrifizierten ästhetisierten mich. Und ein erlebnisreicher Tag endete.
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2012-10-01

The Big Five oder Im Nahverkehr.


Taxidialog:
A: May I ask you a question?
B: Yes, please.
A: Is this your first time in a mini bus taxi?
B: No, it is not. But may I ask you back: why are you asking?
A: Because you are looking so tense. Relax, man!
B: I think it is part of a disposition.
A: You mean, you are an introvert?
B: Something of that kind, yes.
A: For me it is different.

Der Nahverkehr - das Gegenteil des weiten Felds, in einer so dicht organisierten Stadt wie Johannesburg. Alles muss rauschen, alles muss fahren, als gäbe es keine Sekunde, die ungefahren bleiben dürfte.
Das eigene Auto ist der Standard für den Status und die städtische Infrastruktur macht ihm geflissentlich Platz, bestätigt ihn, anstatt dem in Europa so stark malträtierten ökologischen Gewissen einzuheizen.
Das fremde Auto kommt danach und darauf schon das Taxi und vor allen Dingen, d.h. in der Frequenz am Häufigsten, in Form des Minibus-Sammeltaxis daher. Befände ich mich im Krügernationalpark statt in eGoli so entspräche das Sammeltaxi einem Mischwesen von Antilope, vielleicht auch Zebra und Rhinoceros (neologistisch Antilozebrino getauft). Zum einen, wegen der Sammeltaxi-Schwärme, die die Straßen bevölkern. Zum anderen wegen der Gefahren, die von ihnen ausgehen, wenn zu dicht bedroht und von außen heran gewagt. Im Innern ist es nicht minder gefährlich, wenngleich der schöne Schein trügen mag: denn Werkstätten sehen diese kraftvollen Gefährte der DIY-Gesellschaft nicht oft, die Ausbesserungen werden selbst vorgenommen, wobei eine funktionierende Stereoanlage und glänzende Felgen mehr Wert haben, als (kopf-)schützende Polster oder Sicherheitsgriffe (von Gurten ganz zu schweigen).
Ob ich innen schlafe, in das Telefon tippe oder Geld einsammele für die Mitfahrenden, im Hintergrund bleibt für mich stets das Risiko des Hineinfahrens in ein Straßenhindernis, sei es Blech oder Haut.
Dabei scheint die gewählte musikalische Richtung, das Genre der Fahrer, keinerlei Implikationen für den Fahrstil zu haben, obwohl ich in psychologischer Manier davon ausging: seichte 90er-Popklänge von Boygroups oder Liebesschnulzen zeichnen den sanften Fahrer aus; funky 70er-Blaxpoitation-Shaft-alikes, Kwaito-Sounds oder Housebeats lassen Raser und Draufgänger erahnen. Jedoch ist das Mitfahren immer gleich rasant, immer gleich spannend, immer mit dem Gefühl versehen, ich dürfe gar nicht die Augen auflassen, sollte meine Gebete sprechen und vertrauen.

Für diejenigen, die noch Regeln kennen: an jeder Ampel steht die Improvisation höher im Kurs als das Regelwerk. Während der deutsche Fußgänger in mir noch steht, wenn das Rot leuchtet, ziehen Massen anderer an mir vorüber, ungeachtet der Tiere der Großstadt. Lasse ich mich auf das Grün ein, so gilt nicht, das ich im Recht bin, denn die Antilozebrinos düsen um die Kurven und hupen mich beiseite, ohne von ihrem Gaspedal zu lassen, funkeln erstaunt und irritiert aus ihren Augen: was bilde ich mir ein? Vorbild zu sein für Kinder? Für Mütter? Oder für beide? Während dieser Fragen sehe ich eine Mutter mit ihrem auf dem Rücken gewickelten, schlafenden Kind im schmalen Zwischenraum von zwei Sammeltaxis verschwinden, dann wieder auftauchen, die Straße stoisch querend. Fassungslos und erleichtert, dass beide noch da sind und mit dem Gedanken im Kopf, dass diese Sekunden über Leben entscheiden, kann ich stockend und rückversichernd weiter gehen. Vor ungefähr zwei Wochen wurden zwei Schulkinder von einem Taxi ange- und überfahren, fällt mir noch ein.

Die Alternative zum Gewimmel des Straßengefechts: der Zug. Leuchtfeuer und Stolz der Städte, auf zwei Schienen gleitend, nur für ihn gemacht, ohne Dauer-Ampel-Stop-and-Go. Als ich die gewählte Station erreiche, am Ellis-Park-Stadion, verschließt mir Gitterwerk die Treppen. Das nahe gelegene Stadion war einmal im Jahr 2010 Spielstätte für die Weltmeisterschaft und in der Phase der Vorbereitung wurde bekanntlich sehr sehr viel an infrastrukturellen Maßnahmen ergriffen, um die Fan-Massen mobil zu halten. Dafür wurden auch Schienen verlegt, es gab sogar eine Strecke zum noch größeren FNB-Stadium nahe Soweto, an die sogenannte Soccer-City.
Aber vorbei das Jahr 2010 und vorbei die Zeit städtischen, FIFA-notwendigen Glanzes, der nur hergestellt wurde, so erscheint es mir, um zu gefallen. Dabei ist die Funktionalität städtischer formell-informeller Infrastruktur keine zwei Trassen vom Zugsystem entfernt und flächendeckend etabliert - die Antilozebrinos nähren sich an Tankstellen und Ständen und jeder kann hinzusteigen.
Wesentlich günstiger als alles, was der Verwaltungs-Verkehrssektor zur Verfügung stellt und wesentlich arbeitsschaffender dazu. Denn während drei Zugführer in einer jahrelangen Ausbildung das Fahren lernen, reiten mindestens dreißig Buschauffeure * ihre liebevoll geputzten Metalltiere und transportieren während einer Fahrt mindestens zehn Personen (Fahrer mit zwei Gästen vorne, zwei dahinter, vier dahinter, wenn der Zusatzstuhl ausgeklappt wird, sonst drei und dahinter, auf der letzten Bank wiederum vier; die Fahrt wird erst angetreten, wenn das Taxi gefüllt ist, was in der Regel sehr schnell innert drei Minuten geschieht).
Zudem wird der Zugfahrt der tsotsi-Faktor zugeschrieben, eine schmeichelhafte Umschreibung der nicht seltenen Lage, in einem Abteil allein zu sein, bis auf die finster drein blickenden jungen Männer hinter einem. Dass sie die Gelegenheit nutzen werden, den Einzelnen um übrig gebliebens Großgeld zu erleichtern, wird nachdrücklich auf den Straßen verbreitet.

Noch etwas: Minibustaxis halten auf Weisung hin, namentlich auf eine elaborierte Finger-Zeichenverständigung, die in Form von Karten oder Büchern erlernt werden kann (Links zu jeweils englischsprachigen Seiten; der erste Link führt zum Guardian, der eine pdf-Datei in grober Auflösung der Stadtgebiete und zugehörigen Zeichen bereit stellt; der zweite Link führt zu einem Büchlein mit Handzeichenillustrationen von Susan Woolf. Am Ende der dortigen Buchvorstellung gibt es einen Link zu einer JPEG-Datei, die bunte Briefmarken mit einigen Handzeichen zeigt).

* eigene Schätzung, keine quantitative Gewissheit
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