Aufbruch und Abbruch, beides gilt. Während ich noch den Narrativen der Geflüchteten zuhöre, drehen sich in mir die Gedanken wie der Magen um.
Das Zitat geschah mir vor ungefähr zwei Wochen, als ich auf einem Höhepunkt meiner negativen Gefühle der hiesigen Arbeitswelt gegenüber in eine Richtung trieb, die einen Abbruch andeuteten, statt konstruktive Lösungen zu suchen. Ein anderes Beispiel:
Ich fühle mich ausgeschlossen. Ich meine das nicht passiv, sondern eher als eine sich gegenseitig bedingende Beziehung. Zum einen aus informativem Mangel. Zum anderen aus organisatorischer Sicht.Warum werden bestimmte Terminlichkeiten nicht mitgeteilt? Warum wird das Thema der Rollen und Ränge von Freiwilligen seit nunmehr Beginn meiner Tätigkeit immer wieder aufge- und ver-schoben?
Manchmal spüre ich einen drift, augenblickliche Transzendenz und Dissoziation. Die Momente, die lachend geteilt werden - ich steige aus ihnen aus bzw. erst gar nicht ein. Ich wende mich dem Innen zu, am Liebsten ohne je wieder zurück zu kehren. Aber dann erinnere ich mich neu, ganz langsam presst sich der Gedanke durch meine neuronalen Schichten: ich stehe unter einer gewissen Beachtung und Aufmerksamkeit, Blicke streifen mich, Menschen interpretieren. Und ich möchte nicht ganz aus der Reihe fallen, spüre den Gruppendruck, die Anpassungsleistung, die von mir verlangt wird.
Mir geht es wieder besser, ich kann wieder mehr von mir vor anderen zeigen und mitteilen und das hat im Wesentlichen damit zu tun, dass die Möglichkeiten zur Verbalisierung häufiger gegeben wurden.
Seit drei Wochen durchlaufe ich mit einer Gruppe ein Training, das sich "Basic Support Skills" nennt. Themen dieses jeweils vierstündigen Seminars waren bisher:
- "Selbstwahrnehmung"; Ergebnisse:
- meinen Baum des Lebens gemalt,
- meine theoretischen Verankerungen kritisch betrachtet,
- meine Stil-Tiere, Dämonen?, gefunden:
- eine Schildkröte (zieht sich zurück, agiert defensiv, hält sich von anderen fern),
- einen Elefanten (erkennt Probleme als Teil des Lebens, die gelöst werden können - das müsste vielleicht noch zur Wikipedia hinzugefügt werden im Absatz über kognitive Leistungen von Elefanten),
- eine Giraffe (steht über allem; fühlt sich zu sehr überlegen, als dass sie Konflikte betrachtete)
- eine Eidechse (verhält sich ruhig, um Frieden zu wahren und wird dadurch zur Fußmatte), und
- einen Strauß (gestresst, aber er äußert seine Konflikte nicht)
- "Organisatorische und persönliche Werte"; Ergebnisse:
- mein katholisches Erbe (erneut) unter die Lupe genommen,
- der organisatorischen Vision i.A. zugestimmt, d.h. auch ich versuche, gemeinsam mit der Organisation, dazu beizutragen, dass eine Gesellschaft wächst, die aus emotional gesunden Individuen, Familien und Gemeinschaften besteht, die zusammen für das Allgemeinwohl sorgen können
- im Original: "[...] seeks to contribute to the creation of a society in which the emotionally healthy individuals, families and communities are able to work together for the common good of humanity";
- "Beratertechniken"; Ergebnisse:
- wäre ich auf einem Boot, das sänke, ich meldete mich als einer der ersten, der nicht auf die einsame Insel hinüber gerettet werden wollte; der Gedanke dahinter: was passiert schließlich auf dieser Insel? Die Maximierung des Überlebens in Menschengestalt, sie wird sich Bahn brechen und ich will an diesem Versuch nicht teilnehmen, so stark interessieren mich gruselige Realfantasien nicht;
- neben dem aktiven Zuhören, das ich wohl einigermaßen beherrsche, kann ich auch ziemlich gut, bei großer Anstrengung, unterbrecherisch sein.
Der Freiwillige in mir drängt auf den Service für die anderen Helfer, die natürlich in der Hierarchie der Organisation über ihm stehen. Er tippt Telefonnummern für den Chef ein, holt Akten aus den Schränken, schmiert Brote und verteilt Tee, Kaffee, neuerdings auch ganze Becher voll Milch mit Zucker (wobei alles mit Zucker serviert wird; ich vermute eine sehr, sehr klassische, kleinkindhafte Konditionierung und reserviere mir das vermutlich intellektualisierend-rassistische Vorurteil, das gewisse Reifeprozesse bei Menschen, die seit ihrer Kindheit mit stark emotionalen Konflikten, Trauma und Verlust konfrontiert waren und denen es in Südafrika als Flüchtlingen nicht wirklich besser geht, weil ihre Chancen aus gewissen Abhängigkeitssystemen auszubrechen, gegen Null tendieren; nicht dazu in der Lage sind, sich von den guten Spuren und Mustern ihrer Kindheit zu distanzieren: Zucker ist eine davon).
Dieser Freiwillige ist dem Typisierungswahn nach ein Hund: er hört darauf, was ihm gesagt wird, arbeitet ab, was auf für ihn strukurierten Listen steht, ist eifrig und aufmerksam für die basalen dienstleisterischen Dinge.
Dann der professionelle Helfer, mit akademischem Titel, Vorerfahrungen, etc. Er ist ein sich selbst strukturierender, autonomer Charakter. Er befasst sich vornehmlich mit der Formulierung von psychotherapeutischen Gedanken, er organisiert über das Telefon das "helfende Netz", kontaktiert Sozialarbeiter, andere Helfer-Institutionen und ist voll und ganz und in Ruhe und Gelassenheit im beraterischen Kontakt. Seine Aufmerksamkeit liegt nicht auf dem Tee und auch nicht auf dem Zucker, maximal in abstrahierender Einsicht (siehe oben). Er ist aufmerksam für die interaktionalen Phänomene, nimmt sich als erstes zurück, reflektiert über die mentalen Reaktionen, die die Gegenüber in ihm erwachen lassen, agiert planerisch und niemals überstürzt.
Und wo bin ich? In einem Durcheinander zwischen diesen Ebenen.
Manchmal, wenn ich bestimmte Kommentare höre, die nie direkt gesprochen werden, sondern meist Andeutungen sind - "ich kann mir gut vorstellen, dass es für bestimmte Menschen schwer sein kann, sich in diese Art von Arbeitswelt zu integrieren, gerade bei eher sturen und unbiegsamen/unbeugsamen Persönlichkeiten" -, gekoppelt mit dem Unwort des Jahres 2010, der sogenannten "Alternativlosigkeit" im Sinne der Anpassung an die Situation ("entweder die Integration oder der Untergang"), bringen mich zur Frage, wie sehr ich eigentlich von der Professionalität der anderen Helfer überzeugt sein darf?!
Denn was ist Anpassung? Für mich mindestens zweigeteilt. Zeitliche Flexibilität im Innen und Außen, und darüber hinaus eine niemals alternativlose Umgebung.
Ein wesentliches Ziel, das ich mir für meine Arbeit jetzt schon suche, ist, raus zu gehen aus der Bürosituation. Ab dem nächsten Jahr werden neue Projekte geplant und ich darf mich als Freiwilliger (!) daran beteiligen. Also plane ich alle meine Leidenschaften zu mischen und sie mit einer Gruppe von Heranwachsenden auszuprobieren: die Stadt erkunden, die Stadt nutzen, die Stadt kennen lernen. Ob Parcour, Spaziergang mit und ohne Ziel, mein bereits privat gestartetes Fünf-Cent-Projekt (die Straßen und Bürgersteige sind voll davon) - alles deutet darauf hin, dass ich mich nicht in vier Wänden einsperre, um psychosoziale Arbeit zu leisten.
Mit dieser Vorstellung und Realisierung kann ich wieder arbeiten und mich besser fühlen.
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