(The above picture courtesy of SCPS)
2012-09-05
"Für Neil Alcock mußte ein Entwicklungshelfer wie ein Afrikaner unter Afrikanern leben, bis er die Afrikaner verstand, ihre Probleme zu den seinen werden und er ihr Leid teilte.", Rian Malan, My Traitor's Heart.
Heute besuchte ich ein squatter camp. Das klingt einfach und erstaunlicherweise war es das irgendwie auch.
Abbe und Beatrice sind für diese Besuche in der community verantwortlich, sie schauen zweiwöchentlich vorbei, fragen die Menschen, wie es ihnen geht, versuchen, bei Erledigungen zu helfen, erkundigen sich nach den zerrissenen Familien, den kleinen Jungen, die nicht mehr in die Schule gehen, weil ihnen zu kalt ist, sie Hunger haben oder einfach nur müde sind. Oder bei den HIV-positiven Frauen, die depressiv sind und kaum für sich selbst und schon gar nicht für Kinder sorgen können.
Sie suchen junge Mütter, die ihre Kinder nicht mehr haben wollen, die selbst die Milch ihrer Kinder verkaufen, weil sie selbst nichts besitzen und das Nichts nicht teilen können.
Sie kehren bei den Alten ein, die die Aufgaben ihrer Kinder übernehmen mussten, weil diese an AIDS oder sonstwas gestorben und deren Kinder übrig geblieben sind.
Sie besprechen mit den Menschen, dass es notwenig ist, nach einer Vergewaltigung (oder zärtlicher: eines Missbrauchs) eines Familienmitglieds durch ein anderes Familienmitglied zur Polizei und vor allen Dingen zum Arzt zu gehen. Die Polizei für das Recht vor weiteren Übergriffen, die Ärzte für den Schutz vor HIV oder Schwangerschaft.
Was ist ein squatter camp sonst?
Eine Ansammlung von vielen Blechhütten, die so wacklig dastehen, dass jeder stärkere Wind ihnen die Dächer raubt. Eine Ansammlung von Menschen, die in diesen Büdchen wohnen, weil sie sich nichts anderes erlauben können.
Ein zufälliges Areal, das irgendwie geschnitten ist und an jeder idealisierten Seite einen von der Regierung installierten Kaltwasserhahn und an nur einer Seite völlig verwüstete, türlose, beinahe unbetretbar gewordene Plumpsklos hat, die nur deshalb an dieser einer Seite stehen, weil sonst immer irgendein Wind den Gestank der Fäkalien in eine Hütte triebe.
Irgendwann hat die Regierung auch diese aufgestellt, so wie die Wasserhähne, da waren sie neu. Und wenn jeder Bewohner des camps nur rechtzeitig mit einem Türschloss dagestanden hätte, um sich seine eigne Toilette zu sichern, dann sähen diese Auspuff-Dixies vielleicht so aus, als kümmerten sich Bewohner um so etwas wie Mindesthygiene.
Leider hatten sie damals keine Schlösser und so verkamen die Toiletten alle; sie, die dazu erdacht waren, den Menschen ein bisschen Würde wiederzugeben.
Mittlerweile trauen sich nur einige der Erwachsenen, auf ihnen Geschäfte zu verrichten. Die Kinder haben es von Anfang an aufgegeben und verbreiten sich und ihre Bedürfnisse auf dem sogenannten Randstreifen der Straße, der irgendwann einmal ein Gehweg war.
Auf der Grundfläche der Hütten - in den Hütten -, die weniger Quadratmeter haben als mein jetziges Zimmer hat, türmen sich alle möglichen und unnmöglichen Gegenstände und dazu meist mehr als drei Personen. Unter den möglichen Dingen sind ziemlich funktional wirkende Küchen mit Benzin- oder Gas- oder Parafinkochern, ein großes Bett oder mehrere, zusammen gestellte Klappsofas, viele Decken, die wärmen und der Hauptaufenthaltsort der in den Hütten Lebenden sind.
Unter den Unmöglichen Dingen sind Fernseher und anderes Elektrogerät, abgestaubt von irgendwo, dazu gedacht, die Hoffnung zu nähren, dass irgendwann einmal, in der Zukunft, die sich nur auf den nächsten Tag beziehen kann, Elektrizität in die Hütten kommen wird.
Das traurige Bild, das ich zu zeichnen im Stande bin, ist nicht allerorten gleich. Es gibt andere Hütten. Hütten mit Schönheit und Hygiene und Verantwortung. Mit funktionierenden Familien, sogar mit freundlichen und helfenden Nachbarn, mit Musik, mit spielenden Kindern, mit heißen Feuern und Wassern, mit sich sorgenden Müttern, die ihre Medikamten einnehmen und regelmäßig zu Ärzten gehen. Mit einer Gemeinschaft, die miteinander teilt statt behält.
Ein squatter camp meint Vielfalt und nicht Monotonie, niemals Stillstand und viel Improvisation: alte Wahlplakate der Demokratischen Allianz, die nirgendwo mit mehr Ironie oder gar Sarkasmus hätten aufgestellt oder integriert werden können ("Wir sorgen uns um alle!"), sind Wandelemente geworden, die den nötigsten Schutz vor Wind und Regen bieten.
Zurück zum Anfang. Warum war es also einfach oder einfacher als erwartet, dort zu sein? Weil ich nichts verstand, wenn die Menschen auf Zulu erzählten? Weil ich es gewohnt bin, den Schwelrauch der Feuer zu inhalieren? Weil ich gar nicht so anders wohne? Weil ich mir vorstellen kann, in einer solchen Hütte zu wohnen? Auszusteigen? Etwas anders zu machen? Weil ich schon alles über squatter camps gelesen habe und weiß? Die vielleicht ehrlichste Antwort: weil ich wieder gehen konnte. Alles andere: westliche Arroganz!
PS Ein Hohelied sei gesungen auf das Ehepaar Creina und Neil Alcock, das alles versuchte und gab und als lohnende Konsequenz vielleicht nicht ganz scheiterte.
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