2013-05-31

Bericht in Stücken III

Einlaufendes. 

Es ist Zeit, an dieser Stelle auf manche technischen Unterschiede zwischen Deutschland und Südafrika hinzuweisen, die im Johannesburger Leben eine Auffälligkeit darstellen. Nicht, dass ich Mißverständnisse produziere: alles ist kaufbar. Das bedeutet in der Konsequenz, dass wer Geld besitzt, alles kriegen kann. Wie fast überall. Aber durch die mehrheitlich prekären Umstände der Vielen wirkt sich das in der allgemeinen Staffage nicht sonderlich aus. Gut, wenn ich einen Maserati, das neueste iPhone und den Stadtpalast sehen will, dann radele ich in die nördlichen Bezirke. Blicke ich aber auf meine Umgebung, dann sehe ich alte Opels, vielgefahrene Benz' oder deutschbeflaggte Golfs (eher aus der ersten Generation denn aus der aktuellen). Wunderschön sind auch die gebeutelten Audis, die aus kleineren, Trabant-ähnlichen Motoren röcheln und denen bei geringster Steigung die Puste, will sagen, der Ofen ausgeht.

Aber nicht nur PKW sind älteren, abgelegten Datums, sondern auch Kleider. Erst vor ein paar Wochen stieß ich in Orange Grove auf einen charity shop, der abgelegte Kleider aus Übersee zu Minimalpreisen verhökert (wenngleich er dabei noch Gewinn macht). Das vom freundlichen Inhaber erläuterte Verfahren ist Folgendes: Containerladungen voller Wäsche werden z.B. in Europa gesammelt, kategorisiert und dann verschifft (fast jeder kennt die beigen Kleidersammelcontainer und potentiell dahinter steckende Machenschaften). In den Ankunftshäfen warten die Händler auf diese Waren und kaufen im Auktionsverfahren. Was genau in den Containern enthalten ist, wird grob deklariert: Hemden, Mäntel, Trenchcoats, Shirts, Pullover, Schuhe, etc. Es gibt ja nicht nur charity shops (die ihre Gewinne prozentual an gemeinnützige Organisationen weiter geben). Viele Hafen-Händler reisen in die Johannesburger Innenstadt und reißen an Samstagen die großen Kleidersäcke auf und lassen Menschen im „Buddel-Dich-durch“-Verfahren wählen, was ihnen gefällt und/oder passt. Die Preise sind immer verhandelbar, die Klamotten riechen ein bisschen muffig. Ich vermute, dass hier die zweite oder dritte oder vierte Auslese-Kategorie aufgetischt wird. Und es ist immer voll: die Menschen kaufen. Das Johannesburger Stadtpanorama ergänzt sich somit: funktionslos gewordene Architektur (unbenutzte Büroriesen und Hotels) gemischt mit abgelegten, z.T. bunten, mondänen oder einfach nur auffälligen Kleidern - Tierpelzen z.B., die zu Jogginghosen und Schlappen getragen werden oder auch italienische Sakkos, die ihren Reiz zu deutschen Motivshirts ausspielen. Einmal traf ich ein kleines Mädchen, das mit der Aufschrift „Rummachen“ umherlief - eine mich fröstelnd-zurücklassende Begegnung, deren Sarkasmus im Land der Vergewaltigungen und Kinderverbrechen keinen Lacher in mir auslösen konnte.

Alt vs. Neu.

Persönlich vom Einlauf betroffen sind meine Kleider: wann auch immer ich sie zur lokalen Wäsche bringe, ich erhalte sie zuverlässig um gefühlte Zentimeter zurück. Das hat ebenfalls mit der technischen Ausstattung zu tun. Nach meienr Beobachtung kennt die hiesige Waschmaschine keinen präzisen Temperaturregler. Sie unterscheidet nicht Buntes und Weißes, sondern Niedrigtemperatur und Hochtemperatur (ich vermute, unter Letzteres fallen Handtücher und Bettwäsche). Dem hiesigen Trockner allerdings, spreche ich die schlimmere Wirkung zu: haben meine Kleider den kalten Wirbel und die Kernseifeprozedur überstanden, so geraten sie in unmäßig heiße Winde und Strömungen, die in kürzester Zeit die größten Kürzungen vornehmen. Die Schnelligkeit gewinnt hier das Argument, denn ich bin nicht der Einzige, der Wäsche vorbei bringt und Zeit ist Geld und der Kunde wählerisch. Sollte die Wäsche nicht pünktlich fertig sein, nun, eine andere Wäscherei weiß im Block um die Ecke zu überzeugen. Nun, In knappen Shirts habe ich mich schon immer am Wohlsten gefühlt.



Der psychotherapeutische Einlauf ist dagegen etwas, was mich nicht nur konstant umtreibt, sondern auch ein festes Datum bekommen hat. In der letzten Juniwoche wird eine Ferienprogramm zum Thema 'Verlust/e' stattfinden und ich bin stark involviert.

Durch den Anreiz becirct, etwas von mir in das Programme mit hinein zu bringen, entschied ich mich für die konzeptuelle Ausarbeitung des Konstrukts „Komplizierte Trauer“ und deren quantitative Analyse. Erstaunliches ist geschehen passiert: ich war damit in der Lage das halbe Ferienprogramm in Frage zu stellen und ebenfalls die organisatorischen Autoritäten.

Was ist geschehen? Ich hatte schon während des Studiums über das Konstrukt gelesen: praktisch-orientiert, verhaltenstherapeutisch. Allerdings wusste ich nicht, welche Forschungsarbeiten dazu vorlagen und so suchte ich danach. Ich stieß auf George Bonnano. Dieser feine Herr hat sein Lebenswerk dem grief gewidmet. In Längsschnittuntersuchungen fühlte er dem Konstrukt nach und fand in hohem prozentualen Vorkommen, dass Komplizierte Trauer ein Randphänomen sein sollte. Dies deshalb, weil die meisten Menschen ohne weitere Intervention der therapeutischen Industrie dazu in der Lage sind, ihre Verlustgefühle von selbst zu regulieren, aber das breitgefächerte therapeutische Angebot diesem Fund diametral gegenübersteht. Betroffene können sich eigentlich gar nicht vor dem hausierenden Verlust-Berater verstecken. Bonanno stellte also eine seichte Diskrepanz fest und machte sich keine Freunde damit, Therapeuten und Beratern und seelischen Heilern vorzuhalten, sie überinterpretierten, ja katastrophisierten die Folgen von Tod und Verlust und vermarkteten Geschäftsinteressen. So wie jede gute Versicherung mit der Angst ihres Klientel spielt („Ja, so eine Flut kann auch das Alpenvorland bedrohen.“), so wirbt auch die grief industry mit übertreibender Vorsicht.

Bonnanos Arbeiten beinhalten ein weites Altersspektrum und können als ausführlich deklariert werden: er befragte Kinder, die ihre Eltern, und schritt voran bis zu alten Menschen, die ihre Lebenspartner verloren hatten. Die Mehrheit der tausenden von Befragten konnte die Verluste verwinden und nur etwa zehn Prozent von ihnen litt unter zu behandelnden Symptomen, wie übermäßiger Trauer, die jeden Tag auftrat, dem Wunsch nach Wiedervereinigung mit der geliebten Person, einer Identitätskrise, der Schwierigkeit, den Verlust anzuerkennen und anderen, depressiven Erkrankungen ähnlichen Phänomenen. Ein zeitliches Kriterium stellten sechs Monate dar, in denen die genannten und weitere Symptome regelmäßig auftraten. Zusammengenommen mag all das auf den ersten Blick zu streng aussehen, wenn doch beinahe fast jeder Mensch die Gefühle intensiver Trauer bezogen auf einen Verlust erlebt hat, ihre Wogen vielleicht noch detailliert erinnert und daran mit Tränen in den Augen zurückdenkt und sich weitere Hilfe gewünscht hätte. Aber genau in dieser Beschreibung findet sich, dass der Verlust verarbeitet wurde: er hat einen festen Sitz in der Erinnerung, er ist autobiographisch verankert und zeitlich festgelegt. Er ist schlicht vor dem Ich anerkannt, als endgültig definiert und die Wünsche zur Wiedervereinigung finden sich allein in religiösen Vorstellungen vom Tod. Damit ist die klare Grenze zur Behandelbarkeit gezogen. In einer solchen Wahrnehmung vom Tod, ist keine therapeutische, beratende Hilfe vonnöten. Andere Resourcen sind gewiss hilfreich, wie die familiäre oder freundschaftliche oder eben religiöse Zuwendung, die Ablenkung durch andere, die integrierende Erinnerung an den vermissten Menschen, an seine Schwächen, Macken oder Liebreize. Aber alles andere: laut Bonnano unnötig.* 

*Ein illustrierendes Beispiel von der schwierigen Verarbeitung von Tod beschreibt Joan Didion, die den Verlust ihres plötzlich verstorbenen Ehemanns John Dunne nicht erträgt. Zu lesen in: „The Year of Magical Thinking“.

Nun ist aber die Organisation, in der ich arbeite, aus anderem Holz geschnitzt, als ich. Sie arbeitet vorwiegend nicht mit Fragebögen oder auf der Konstruktebene, streitet nicht über Validität und akzeptiert das klinische Urteil als weitestgehend übereinstimmend zwischen den verschiedenen Mitarbeitern und als das wichtigste Entscheidungskriterium überhaupt. Die Orientierung und Herkunft ist eher als psychodynamisch zu beschreiben, wenngleich mit dem Fokus der Klienten-zentrierten, Rogerschen Arbeitsweise. Und sie hat Erfahrungshoheit, diese Organisation. Und genau gegen all das rebellierte ich.

Als erstes stellte ich meine Kritikpunkte vor, beschrieb, wie vorschnelles diagnostisches Urteil langfristig ungünstigere Folgen hat als stilles Abwarten und Zahlenzählen, sprach über die empirische Forschungslage und machte Zweifel zum hiesigen Selektionsprozess deutlich. Dann fügte ich als mich absicherndes Instrument das Inventar zur Komplizierten Trauer (ICG-R) in den Selektionsprozess ein, machte Kopien und verteilte fleißig an die, die den Auswahlprozess durchführten. Ich ging dabei inklusiv vor, ich lehnte nicht das bisherige Vorgehen ab (selbst kreierte Fragebögen und offene Fragen plus unstrukturiertes Interview) und versuchte mich im Eklektizismus. Was ich aber außer Acht ließ: mein Streiten war dabei dem Prozess der Finalisierung im Weg. Ich achtete nicht darauf, dass bestimmte zeitliche Grenzen für die Planung der "Trauer-Woche" galten. Und alles schien wie eine akademische Diskussion zwischen zwei Personen, die die anderen ausließ. Kurzum: ich genoß die Lage sehr, denn Ambivalenzen, die zu Veränderungen in der Lage sind, sind meine Steigbügel - besonders, wenn ich nicht mehr zu steigen brauche.

Nach einer gewissen Zeit des minimalen Fortschritts im konzeptuellen Clinch, wurde ich zum Gespräch, zur Mediation gebeten. Dass ich nicht der Mediator war, sollte an dieser Stelle klar geworden sein. Es ging um Gefühle der Unsicherheit, die ich auszulösen im Stande war, um die Position der Organisation, um die Sicherstellung der bestehenden Machtverhältnisse und um die Sorge für die Kinder, die, den parentalen Konflikt (zwischen der Kollegin und mir) unbewusst aufschnappend, sich ebenfalls in Meuterei versuchen und, geübt in patriarchalen Idealisierungen, mehr Glauben mir, denn ihr schenken könnten.

Schlussendlich einigten wir uns auf die Anerkennung der Differenzen, auf den Beibehalt der Selektionsprozedur und die leichte Überhöhung der mütterlichen Position. Ich glaube, mehr konnte ich gar nicht erwarten und das Ergebnis gefällt mir noch immer.

Seitdem digitalisiere ich fleißig Daten und werte deskriptiv aus. Ein bisschen reminiszent-nostalgische Gefühle sind dabei - meine quantitativ-forschende Ader ist also noch nicht verkalkt.


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