2013-05-26

Bericht in Stücken II

 Und wer steckt hinter dieser Mauer? Und was wird da gespielt?

Mitlaufendes.

L. und F. waren in Joburg für eine Nacht. Anders als in „meinem“ Projekt, wird nicht allzu streng auf die Urlaubstage geschaut. (Ein anderer Rahmen hält her - 20 Tage versus 40+, das hat wohl mit dem individual-staatlichen bzw. organisatorischen Zeitverständnis zu tun und beginnt bei meinen Verhandlungen um ganze sieben Minuten vor vier Uhr, die ich für eine private Angelegenheit einsetzte und die mich eine lange moralische und organisationspsychologische Debatte am Folgetag kostete, und der einmonatigen Mosambik-Rundreise; anders als zu erwarten, verspüre ich nur leichte Gefühle von Neid; sie sind das leichte Aufflackern alter, external gespeister Vorstellungen, was ein einjähriges „Abenteuer in Afrika“ auszeichnen sollte [Giraffen und Löwen und wenn schon nicht das, dann Dauergewalt, Prostitution oder entmutigendste Armut]. Ich wählte und ich wusste und ich will auch gar nicht anders. Die Stadt braucht sich nicht auf.)

Wir trafen uns auf eine Runde Brause in der Innenstadt und brachten uns auf die aktuellen Stände:

A: „Was geht bei Euch?“,

B: „Gerade sind an die vierzig Enten in einem Dorf gestorben, was richtig blöd ist.“ (für all die, die nicht wissen, was F. und D. in Chai-Chai machen, es geht u.a. um empowerment und Mikrofinanzierung und dann um Enten, die ein Geschäftsmodell darstellen. Wenn also Enten sterben, stirbt das Geschäft.);

[...]

B weiter: „Kapstadt war toll, bis auf die tsotsis, die L.'s Kreditkarte kopiert und von ihr das ganze Geld abgezogen haben.“,

[...]

C: „Im Projekt ist keine gute Stimmung, weil die Sexismen und die unbedingten Machtgelüste des Chefs unerträglich sind.“,

[...]

Alle: „Na dann sehen wir uns in Swaziland wieder.“ usf. 

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Blick auf Sandton, von Ridge View aus betrachtet
Eine Freundin macht derzeit einen Fotokurs und Aufgabe ist es, backyard-mysteries zu dokumentieren. Als geübter Spaziergänger der Stadt habe ich meine eigenen Vorstellungen davon, was solche Mysterien betrifft. Ich glaube z.B., dass das Unbekannte nicht in abgebrannten Häusern zu finden ist, sondern vielmehr hinter den meterhohen Mauern in gated communities. Aber erwartbarerweise (aus der Frage des Verkaufswerts resultierend), justiert der Auto-Fokus auf Armut. Es geht eher darum, denjenigen, die fast nichts (wörtlich) haben auch noch ihre minimale Definitionsmacht im Sinne ihrer Lebensbedingungen fotografisch auszulegen. Denn wie wird der Moment mehrheitlich interpretiert, wenn sich eine Familie unter einer Bettdecke, auf einem Außenbett und freiem Himmel ihre Pudelmützen zurechtrückt, weil es nachts kalt wird?

Ohne Pudelmütze und in bester Braai-Laune präsentierte sich die weiße, sehr exklusiv-gelegene Siedlung Ridge-View [Rich-View; Link zu Google Maps; eine Ansicht einer "Burglage" kann bestaunt werden, wenn street view eingeschaltet wird]. Es ist schon erstaunlich: Straßen werden aus Sicherheitsgründen privatisiert und abgeriegelt, die Schönheit des ausschweifenden Blicks wird vom Zutrittsrecht abhängig gemacht.

Ein paar Tage ist es erst her, dass ich Melody Emmett kennen lernte. Sie schreibt über Bez Valley und ihre community, besonders beeindruckte mich aber der Einführungsseitentext auf ihrem blog über die Ursprünge des Areals. Von Bedfordview bis zur innerstädtischen End Street war alles eine einzige Farm. Diejenigen, die noch nie eine Farm besucht haben, seien die Landschaften Limpopos ans Herz gelegt (danke für Deine Beschreibung, Maxi) oder, nicht weit von der Dimension entfernt, die medialen Ausgestaltungen der Kornkammern US-Amerikas - ich hoffe, ich bin nicht der Einzige, der Heiner Müllers Beschreibungen oder Wim Wenders Filme assoziativ dazugedenkt.

Ridge-View gehörte seitwärts zu dem ehemaligen Farmland und war vermutlich nicht mehr als eine Erhöhung in der Umgebung, auf der hohes Gras wuchs (highveld-typisch) und das Gestein ein Urbarmachen verhinderte. Heute jedoch präsentiert es sich in einer derartig herausgehobenen Wohnlage, die gänzlich unbezahlbar geworden ist. Ich treffe Peter und er wohnt in dieser abgesperrten Straße mit seiner Mutter, die für eine weiße Familie das Haus bestellt. Er lädt mich ein, eine kleine Tour durch die Straße zu machen. Wir sprechen über white inherited wealth, über den Reichtum, der nur von den Eltern an die Kinder weiter gegeben wird, der auch nicht mehr in gleicher Weise durch sie zu erwirtschaften ist, weil sich die sozialpolitischen Rahmenbedingungen drastisch und glücklicherweise verändert haben. Dennoch bleibt der trübe Punkt des sich aufrecht erhaltenden Status: diese Kinder dieser Eltern (weiß und wohlhabend) werden bei geringen Radikalitätstendenzen nichts weiter tun müssen, als das zu verwalten, was bereits da ist. Wie ist der Stadtpalast, die prachtvolle Burg aus Glas, Beton und Stahl auf dem Hügel entstanden? Meine Vermutung: auf dem Rücken der südafrikanischen Mehrheit. Und das ist, wenn man die Minenarbeit bedenkt, wörtlich zu interpretieren.

Natürlich weiß ich nicht, wie diese Häuser explizit zu ihren Besitzern gekommen sind, aber kann ich wirklich von der Unschuldsvermutung ausgehen? In Südafrika?

Peter sagt, dass er gerne etwas mit Musik machte, ein Studio oder ein Label mitgestalten. Allerdings kann er nicht studieren, weil ihm noch das Geld fehlt. Wir sprechen noch ein bisschen über the struggle, zee Germans, Asylpolitik hie und da (Südafrika versus Europa) und verabschieden uns schließlich in freundschaftlicher Manier.


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House of Dreams, 154 Regent, Frontalansicht. 

Die neuesten Neuigkeiten vom House of Dreams sind lokal-historisch atemnehmed: die Freedom Charter wurde (nach mündlicher Quellenlage; durch Lionel Rusty Bernsteins Memoiren wird das nicht bestätigt) in Teilen hier geschrieben und zusammen gefügt. Sie ist der Vorläufer der südafrikanischen Verfassung, sie ist nicht-elitär durch ihren Ansatz, Freiheitsrechte bei denjenigen zu erfragen, die das Volk waren. Die Adresse 154 Regent Street war einst durch die Bernsteins bewohnt: Hilda und Rusty und ihre vier Kinder, Toni, Patrick, Frances, and Keith, lebten und arbeiteten hier.

Es muss ein paar Monate her sein, dass Thotho mit Keith an unserem Zaun sprach. Keith wanderte auf und ab, schien sich das Haus zu begucken und irgendwann wurde jemand auf ihn aufmerksam und schickte Thotho. Nachdem Keith erklärte, warum er so neugierig sei, ließ ihn Thotho ein und zeigte ihm das Innere des Hauses. Keith habe dann gesagt, dass er glücklich über die Nutzung sei, und dass, als er das Haus noch vor ein paar Jahren besuchte, der Verfall vorgeherrscht habe und ihm beinahe das Herz gebrochen sei, als er sein ehemaliges Zuhause in einem solch' jämmerlichen Zustand gesehen habe. Die Geschichte hört da nicht auf: Sophiatown Community Psychological Services wurde von der Heritage Foundation kontaktiert. Diese sagte, dass man eine Gedenktafel anbringen wolle, zur Ehre der Bernsteins. Und in all dem Hin-und-Her-Kontaktieren entstand auch eine Verbindung zu Toni Strasburg, dem ersten Kind der Bernsteins, das in Kapstadt lebt und arbeitet und zu einer Memorial-Lecture an der Wits Universität kam.

Obgleich die Lesung ein architektonisch-gefärbtes, aktuelleres Thema als das der Entstehung der Freedom Charter hatte („Making Slum-Free Cities: Global Urbanism in the Asian Century“), war es dennoch interessant die Art der Vernetzung zu begleiten, die SCPS (ungeprüft) erfolgreich arbeiten lässt. *

Zu Toni Strasburg gesellte sich Barbara Harmel, auch ein Kind einer Aktivistenfamilie, die als Psychologin in Westdene arbeitet und sogleich auf eine künftige Zusammenarbeit hindeutete. Was auch immer dabei heraus kommt, die impliziten, verbindenden Kreise schließen sich explizit.

Im Juni wird die Gedenktafel angebracht und ich steuere auf ein größeres Verständnis für die jüdisch-kommunistische Gemeinschaft der Anti-Apartheid-Aktivisten zu.  


* Meine Vermutung: laut sozialer Konnexionstheorie sei der exekutive Kopf von SCPS ein wesentlicher Knotenpunkt, zu dem übermäßig viele einzelne Kontakte verknüpft sind (graphisch sind dies die auf ihn gerichteten Pfeile). Seine implizite Aufgabe besteht daraus, diese Pfeile wiederum miteinander zu verknüpfen (wenn nicht ohnehin schon eine gewisse Netzwerkdichte und damit Bekanntheit untereinander besteht). Der Akt der Verknüpfung bringt nun wieder neue Kontakte auf - ein Emergenz-Phänomen wird evoziert und durch besonders erfolgreiche Verknüpfungen entsteht Vertrauen, das im psycho-sozialen Kontext eine der prominentesten Rollen spielt. (Ob facebook, twitter oder google+ dazu in der Lage sind, wird derzeit ausprobiert)

UPDATE:



The plaque for the historical site I am living in. 


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