2012-07-12

Medien I

"Ein Weißer kann die verborgensten Winkel von So-weto kennen; er kann hundert Häuser betreten und mit zahllosen Schwarzen gesprochen und nach jeder Nuance Aus-schau gehalten haben, die ihm vielleicht auf die richtige Spur verhilft. Aber am Ende seines Besuchs bleibt ihm doch im-mer diese eine quälende Frage: Wie ist es wirklich, schwarz zu sein und in Soweto zu leben?" (Marshall Lee zitiert in MERIAN Reisezeitschrift, Heft "Südafrika" April 1984, aus der Reportage "'Sie dürfen gerne fotografieren!' Soweto: Der Blick aus dem Reisebus und die Wirklichkeit" von Dorothea Razumovsky)
In der Vorbereitung auf meinen Aufenthalt widme ich verstärkt Medien, die Südafrika zum Thema haben. So las ich vor Kurzem "Sophiatown" (Amazon-Link) von Don Mattera. Sophiatown wird der Stadtteil von Johannesburg, sein, in dem ich arbeiten werde. Und so wurde ich neugierig, als ich beim letzten Seminar auf dem Grabbeltisch ein Buch gleichen Namens entdeckte. Ich lieh es mir und fand darin die Episoden einer Jugend, die zufällig geschahen (dank der Lotterie der Geburt, des Lebens, des Universums und des ganzen Rests) und ebenso zufällig in Sophiatown handelten.
Ein ungeordnetes Buch ist es. Ein Buch voller Erinnerungen, die nicht linear erzählt werden, um einer Geschichte Platz einzuräumen, die zusammen hängt. Ein Buch des persönlich Erlebten (Link zu einem englischsprachigen Interview mit Mattera), nicht bloß Nachempfundenen, so scheint es, denn der Ich-Erzähler berichtet von seinen Gewalttaten, seinen losen familiären Bindungen, seiner wiederum Gewalt-legitimierenden Suche nach Anerkennung, und von seiner Läuterung, die durch seine Sorge um seine Frau und sein erstes Kind geschah. Die Parallele zu "Tsotsi - Ein Junge aus dem Ghetto" (Wikipedia-Link) wird offensichtlich. Denn darin läutert sich der perspektivlose und gewalttätige Tsotsi, indem er bei einem Auto-Hijacking ein Baby mit-entführt und sich fortan um es kümmern muss. Seine Lebenswelt wächst um die Komponente der Verantwortlichkeit, die er zuvor nicht kannte. Nicht einmal für sich selbst. 
In ähnlicher Weise schildert es Mattera, der während seines Gefängnisaufenthalts nur deshalb nicht missbraucht wurde, weil sich ein Älterer um ihn sorgte. In beiden Fällen fungiert ein erzwungener, quasi-schicksalshafter Perspektivwechsel für die Katharsis der Protagonisten. 

Keine Katharsis hingegen fand ich in "Das Erbe der Apartheid - Trauma, Erinnerung, Versöhnung" (Amazon-Link) von Pumla Gobodo-Madikizela, das ich noch während des Seminars im Juni in nächtlicher Eile verschlang.  Es handelt von Eugene de Kock (Wikipedia-Link), genannt "Prime Evil", der Schreckensexekutive des Apartheidregimes, Proponent und Instrument des "dirty wars" in den 1980er Jahren in Südafrika.
Die Autorin ist Psychologin und war als solche in der Wahrheits- und Versöhnungskommission (Truth and Reconciliation Commission, kurz TRC *; Wikipedia-Link) tätig und durfte de Kock interviewen. Sie beschreibt die Situation des Gefängnisses, das de Kock früher beherrschte und dessen Insasse er heute ist, die persönlichen Begegnungen mit ihm, ihre Ängste und ihre Auseinandersetzung mit der Vorstellung, einen sehr gewalttätigen Menschen vor sich sitzen zu haben, der, so schildert sie es, durchaus mit ihr soziopathisch zu spielen scheint **, und ihre Überlegungen, dass die Zeit, in der sie für ihr Engagement verfolgt hätte werden können, noch vor wenigen Jahren Realität war.
Dabei versucht sie sich an Erklärungen für de Kocks Taten, an der Rechtfertigung des menschlich nicht zu Rechtfertigenden noch Nachvollziehbaren. Wie ist es, so gezielt, so kalt, so sadistisch zu ermorden oder ermorden zu lassen? Welchen Wert erhält das Opfer? Wird es noch als Mensch anerkannt? Referiert wird auf Hannah Arendt ("Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen"; Wikipedia-Link), auf das Khmer Rouge Regime in Kambodscha und einer weiteren Figur in der langen Liste der Massenmörder und Henker: Kaing Guek Eav ("Genosse Duch"; Wikipedia-Link).
Gerade die persönlichen Details des Buchs lesen sich erneut mit der Ungläubigkeit all derjenigen, die noch nicht "Das Schweigen der Lämmer" geschaut und die Konsequenzen daraus gezogen haben: die Hoffnung auf menschliche Gnade, auf die so tief verankerte Empathie der Meisten stirbt zuletzt.
Eine Szene steht dafür stellvertretend: Eine Berührung von de Kocks Hand, auf einen Impuls der Autorin hin geschehen, wurde ihr zum Verhängnis.
De Kock, so mutmaßt die Psychologin, habe darin eine mögliche Verbindung zwischen ihnen gesehen, eine Geste der intimen Vertrautheit, der Anerkennung von ihm als Menschen, statt als grausamem Täter, entstanden aus einem verführerischen Moment seiner eventuell inszenierten, kalkulierten Schwäche - einen Augenblick, in dem er reuig, und schuldbelastet, gar -zerfressen gewirkt habe.
Und er habe diesen Moment sofort wieder entkräften und zerstören müssen, indem er ihn der Lächerlichkeit preisgab. Er sagte der Psychologin, er hätte stets mit dieser, so eben berührten Hand, seine Opfer erschossen.
Dass dies einer gewissen Dialektik der Geschichte entspreche, sagte er nicht, aber die Hand, die sonst gnadenlos richtete, war ironischerweise ein Symbol des Mitgefühls geworden.

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* Ein Film, der sich mit einem Fall der Wahrheits- und Versöhnungskommission auseinandersetzt, heißt "Red Dust - Die Wahrheit führt in die Freiheit" (Wikipedia-Link).
** In dieser Hinsicht kann ich ein weiteres Medium empfehlen: "Das Böse - Warum Menschen Menschen töten" (Arte Dossier).
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