2013-04-28

Architektur. Und Leben.



"Architecture is too slow to solve problems!", Cedric Price, 2001.
Da ich mehrfach und in kurzer Blöße angedeutet habe, wie prekäre Wohnsituationen in Johannesburg aussehen, möchte ich dem Themenkomplex des Wohnens und der Architektur des Wohnens etwas genauer nachgehen.

Ausgangspunkt sind Stadtspaziergänge, persönliche Berichte über Wohnlagen und meine Hausbesuche, die mir wieder und wieder faszinierend zeigen, wie sich das Leben in Johannesburg eingerichtet hat, wie aus einer weißen, kleinbürgerlichen, calvinistisch-prüden, erzkonservativen Goldgräberstadt der Apartheid eine afrikanische, verzweigte, mehr-und-ambiguitiv-schichtige Metropole wurde.

Mich interessieren dabei nicht, wie gated communities von innen aussehen. Oder was in Großraumbüros in ganzen Büroetagen in monumentalen Bürogebäuden geschieht. Ich suche Mehr-Parteien-Wohnhäuser auf, darunter auch solche, die als Hochhausungetüme verschrien sind.


"Architektur, das sei von Allerwelt (commodity), Stabilität (firmness) und Wohlgefallen (delight)"
Z.B. meine Neugier für den Ponte City Tower. Sie ist ungebrochen, gerade weil ich ihn nicht aus meiner Sicht herausnehmen kann, denn ich begegne ihm täglich. Und er büßt keinerlei Wirkung ein, nur weil Presse- und andere Stimmen urteilen, man könne in ihm erfreulicherweise wieder wohnen.

Was ihn interessant macht, ist sein rundes Dasein: wie fühlt es sich an, in einen Zylinderschacht zu steigen, der 173 Meter in die Höhe schießt? (Link zu google books; Norman Ohlers Ponte City)

Oder heute: Rosaley Court, Pretoria Street, Hillbrow. Ein unscheinbares Gebäude, das durch seine offene Tür (mit unbeabsichtigt einladender Wirkung für meine Neugier) Blicke gewährte. Mitten im Tosen der Verkäufer und ihrer Läden, öffnet sich eine Welt, ganz zufällig und nur, weil eine Frau ihren Wäschekorb hinein brachte und das Gitter zu schließen vergaß. Eine Marmortreppe und scheinbare Ordnung locken. Die Androhung von Gewalt findet sich erst in der Sprache eines ungemütlichen Hausmeisters wieder, der an meinem Rucksack mehr interessiert ist als an meinen Fragen. Er sagt mir noch direkt ins Gesicht, dass die Leute hier keine Fremden mögen. Zwar muss ich daraufhin nicht über den Feuersteig fliehen, aber in gemäßigter Eile verlasse ich das Haus.



Ein paar Krümel an Information seien erwähnt, obwohl ich mich auf sie nicht verlassen kann, weil meine Haut weiß ist, ich nach Geld aussehe und Angebote immer Verhandlungssache zu sein scheinen. Bachelor-Apartments seien nicht verfügbar, dafür Wohnungen mit mindestens zwei Schlafräumen. Grundpreis R4000. Die Feuertreppe kann benutzt werden, die Aufzüge sehen rumpelig aus, weshalb ich sie ausließ. Die Gegend ist verschrien und ohne fehlerfreies Stadt-Zulu nicht gefahrenfrei. Meine Hautfarbe schließt mich aus - bei den Kindern bin ich nur der mzungu und mit großen Augen schauen sie mich an und mir nach. Bei Erwachsenen wecken meine eventuell versteckten Güter Begehrlichkeiten. Meine einseitige Sprache macht mich verwundbar.

"Jede neu eröffnete Baustelle ist ein Bataillon, jedes fertige Gebäude eine gewonnene Schlacht!", Lyautey.

Aber was ist Hillbrow? Ein multikultureller Bezirk des sorgenden Zusammenlebens? Eine graue Zone der Rebellion? Das war er vielleicht einmal. Gewaltakte sind häufig, die Straßen werden nicht nur nachts, ab einem bestimmten Einkommen und Status, gemieden. Ein Kollege sagte mir, er zöge nie nach Hillbrow, zu viel Spannung, zu viel Gefahr. Alles zu umgehen, wenn ein Gehalt Vorsorge erlaubt. Denn diese Vorsorge wird sichtbar, sobald der erste paycheck eintrifft. Wie kann jedoch derart eine Gemeinschaft entstehen, wenn so etwas wie die Basis, die nicht aus Hillbrow hinaus kommt, diejenigen verunsichert, die gewillt sind, etwas zurückzugeben? Wie wird eine Beziehung möglich, die über die Menschen in Wohnungen hinaus geht? Etwas, das einlädt, anstatt auszuweisen?


Hillbrow in den 1970er. Foto aus einem argentinisches Reisemagazin.


Als ich heute den Artikel "The New Apartheid: Gated Communities" aus ZA Difference las (Ausgabe Vol. 2, No. 2, January 2011), wird geschrieben, wie sehr diese Form des Wohnens auflebt und dass diejenigen, die Geld haben, sich einkaufen und wegschließen. Der Bogen zwischen alter Apartheid, der Vermischungen per Gesetz untersagte, und neuer, ein- und ausschließender Apartheid durch das Budget wird gespannt. Vergessen zu erwähnen wurde, was sie noch bedingt, diese neue Apartheid: den Ausschluss aller Nichtarmut aus der Armut, weil zu viel im Argen dazwischen liegt, als dass Brücken gebaut werden könnten. Insofern ist Hillbrow für mich ähnlich schwierig zu durchdringen, wie Houghton für jemanden aus Hillbrow. Es sei denn, Geld.

Ein anderer Kollege sagte mir, dass ich eventuell den Grad der materiellen Unsicherheit unterschätzte, wenn es um den Großteil der Südafrikaner ginge. Er gab mir diese Antwort, weil ich in einer unserer Besprechungen meinen Unmut darüber äußerte, dass ein Mitglied eines Fußballteams, mit dem "meine" Mannschaft schon länger freundschaftliche Testspiele veranstaltete, ein Telefon unserer Mannschaft stahl. Ich konnte nicht verstehen, wie sich diese Dinge vertragen, wie hochemotionaler Fußball, der freundschaftliche Bande entstehen lässt, völlig außen vor bleibt, wenn es um so etwas Nichtiges, wie ältere Mobiltelefone geht.Vielleicht hatte er Recht. Ich unterschätze stets neu, was es heißt, hier zu leben.

Insofern erlebte ich heute eine reale Entsprechung einer Warnung Thothos (und so vieler anderer): Neugier entsteht durch das sichtbare Geheimnis, auch wenn es nur in Form einer Tasche daher kommt.

Die Faszination am Verfall kann sie mir dennoch nicht nehmen, diese Neugier, der nur meine eigene Neugier gegenübersteht. Wenn ich durch die Straßen streife und mir ausmale, wie z.B. unfunktionale Schönheiten von Gebäuden aussahen, als sie noch per architektonischer Intention gebraucht wurden (Shakespeare House, The Majestic, The Carlton, Danziger House), kann ich nur stehen bleiben, verharren und vom schnellen Schritt abschweifen.

Ich sehe und bin gefangen in prä-postmoderner Vorstellung, in Zeiten der per Hand verlesenen Pakete, als das Bakelittelefon noch als Standard zukunftsweisender Kommunikation galt. Ich bin eine Auffälligkeit in meinem statuenhaften Sein, denn alles andere ist Bewegung und Rauschen und Toben und Vergessen.


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