2013-04-07

Spazieren II


Gutes Haus, Schlechtes Haus: Bezirksansichten Yeoville-Bellevues

Als ich vor Monaten durch die innere Stadt lief, willens alles, aber mit Plan, aufzusaugen, was mir in die Quere gerät, erschütterte mich die Tatsache, dass meine eigentliche Intention, bestimmte Blöcke - diese Häuserfronten der Geradlinigkeit -  allein abzuschreiten, an meinem eigenen Tempo und der multiplen und daher bunten bzw. verwirrenden Nutzung scheiterte.
Ich marschierte über das zuvor akribisch Eingeprägte hinaus, weil ich mir doch sicher war, dies könne einfach nicht das Ende einer Straße sein, die ich so klar und zweidimensional-kartiert vor dem inneren Auge sah. Und dann war es das doch, aber ich realisierte es erst als alles zu spät war und meine Füße weiter waren als meine Augen und mein Verstand. 
Ich glaube, es liegt dabei nichts Ungewöhnliches vor, denn wenn es so etwas wie ein Paradebeispiel für aufmerksamkeitsbezogene Ablenkungen und inflationäre, die Geistesgegenwart einschränkende Überflutungen gibt, dann ist die Innenstadt Joburgs perfekt zur Illustration geeignet.



Ganz anders ging es vor Kurzem vonstatten, als der Blogger und Yeoville-Bellevue-Polit-und-Community Aktivist Maurice Smithers zur "Hausbewertung" aufrief und forderte, durch das Quartier zu gehen und dabei den Stand des Verfalls bzw. der Schönheit und der Erweiterungen von Bebauungen sowie deren formelle oder informelle Nutzung zu dokumentieren.



Die Idee ist ambitioniert und zugleich ein Symptom der ungenügenden stadtplanerischen Mittel. Was Maurice macht, ist eigentlich Aufgabe der Stadtverwaltung, aber diese kann oder will nicht.



Vor ein paar Jahren hat Maurice eine Datengrundlage für diese Art der Bezirksdokumentation geschaffen: er sandte drei Dokumentationshelfer aus, um einen mehrseitigen Bestandskatalog auszufüllen, der viele Kriterien enthielt, um "von außen" auf Objekte wie Einfamilienhäuser, Mehrfamilienhäuser, Wohnblocks usf. zu blicken und sie ihrem Zustand nach zu bewerten. Die Nutzung des Objekts wurde aufgezeichnet sowie ein Verweis auf mögliche Spielarten der Ausgestaltung vorgenommen, z.B. "Späti [lokal: Tuck shop oder Spaza] ist ein Bretterverschlag bzw. ist im Zustand der Entstehung bzw. hat bis [Uhrzeit] offen", "Bordell oder Gästehaus ist zugeparkt" oder "Balkons werden als Wohnräume genutzt".



Alles, was von Außen gesehen werden konnte, wurde in quantitativer oder kommentierender Form niedergeschrieben. Diese Art von Dokumentation war sehr aufwändig und konnte nur durch externe Gelder ermöglicht werden. Da aber politischer Aktivismus im Sinne der Nachbarschaft davon lebt, dass sich Menschen unentgeltlich zusammen tun und etwas Gemeinsames für den Stadtteil oder gar Bezirk unternehmen, in dem sie leben, fragte Maurice einfach in einem Mail-Verteiler, wer am Soundsovielten Zeit für das Projekt hätte. Ich nahm teil, aus Neugier und aus Verbundenheit.



Als ich beinahe pünktlich vor Maurice' Haus stand, warteten schon weitere Engagierte. Nach einer Weile wurde geklingelt und ein wohlgelaunter Maurice öffnete und wies uns in seinen Garten, zur "Projektplanung". Weniger als zehn Personen nahmen teil, was für Manche ein Grund zur oder aber eine Bestätigung bereits vorhandener Besorgnis über den Stand nachbarschaftlicher Aktivität war. In solcherlei Besprechungen entsteht wohl immer eine Mischung aus Empörung und Litanei, persönlicher Neugier und wohlmeinendem, bestärkendem Schulterklopfen. Alsbald wurde der ursprüngliche Katalog in seinen Ausuferungen begrenzt und Klemmbrett-tauglich ausgedruckt, Zweierteams bildeten sich, die eine Seite einer Straße übernehmen sollten und zugleich dafür sorgten, dass eine gewisse öffentliche Präsenz geschaffen wurde. Die Dokumentation sollte nicht versteckt stattfinden, damit andere Bewohner sehen, was da gemacht würde und endlich beginnen zu fragen und zu denken und eventuell mitzumachen (so eine geäußerte Forderung eines anderen Teilnehmers). Wie bei so vielen Initiativen ist ein formuliertes Ziel, Bewusstsein für Probleme zu schaffen und aktiv zu werden, um Lösungen zu finden und dabei möglichst viele Menschen zu erreichen.



Maurice versorgte uns auch mit den nötigen Informationen, warum solch' eine Dokumentation - neben der Öffentlichkeitswirksamkeit - nötig sei: um vor dem Planungskomittee der Stadtverwaltung "harte", d.h. statistische Indikatoren für den Wandel von Yeoville-Bellevue zu präsentieren und dieses für Interventionen zu gewinnen. Spezifische Fragen drehen sich dabei um registrierte vs. unregistrierte Spätis, allgemeinere Fragen um die Sicherheit im Bezirk (siehe).



Nach vielen kleineren Diskussionen im Team um die Bausubstanz und die Bestrebungen eines Erhalts durch die Bewohner eines Objekts war nach zweieinhalbstündigem Gehen und Stehen klar, dass es in einem Viertel des Bezirks nicht so düster aussieht, dass von Moloch und Schlimmerem gesprochen werden müsste. Gärten wurden gepflegt, in die Sicherheit der Objekte investiert (Zäune und Strom) und Mülleimer benutzt. Weniger Häuser erhielten das Etikett "arg schlimm bzw. für Bewohner gefährlich".

Interessant ist, dass es eine Art Theorie und viele davon abgeleitete Hypothesen zu Yeoville-Bellevue gibt, die sich als Grundlagenerklärung heranziehen lassen: der Doppelbezirk ist ein Migrationszentrum mit allen Implikationen eines solchen. Für dieses Projekt lautet das Hypothesen-Zauberwort "Fluktuation".

Der Umzug, Zuzug oder Wegzug ist ein Dauerprozess im Bezirk, der Kollateralen mit sich bringt. Eine davon ist die küchenpsychologisch plausible Annahme, dass bei großer Unsicherheit in Bezug auf die Zukunft, d.h. das zukünftige Wohnen mitinbegriffen, jedwede Art von Objekt-Instandhaltung unterlassen wird, weil ganz und gar nicht klar ist, ob diese Investition Früchte trägt. Bei ohnehin kaum vorhandenem Geld in den Familien, wer kann es sich leisten, die Küche neu zu tapezieren oder gar Vorgartenpflanzen zu pflegen? Meist hat eine Wohnung einen Hauptmieter, der seine Mietverantwortung an seine Untermieter abwiegelt und dabei noch Profit macht. Diese Art der Vermierunt wird breitbandig toleriert und als Geschäftsmodell angesehen - wer es sich leisten kann, mietet einfach eine Wohnung. Die Hausbesitzer leben im gleichen Modus: das Objekt erbringt nur Geld, weil alles vermietet ist und nichts in die Pflege investiert wird. Bei allzu groben Auffälligkeiten (Dacheinsturz) erfolgt der Verkauf. Es scheint, als wären die Zeit der Verbindlichkeiten vorüber.

Bei unserem Spaziergang kartierten wir nur den Nordosten von Yeoville-Bellevue, der vielleicht als der (einzige) Teil angesehen werden kann, der nicht das Zentrum, aber viele Dauerwohnende hat. Es stehen viele Einfamilienhäuser darin und wenige Geschäfte, auf den Straßen herrscht ein gewisser Grad an Sorgsamkeit und es wird klar, dass Houghton (im Norden) und Bellevue-East (im Osten) mit ihrem prunkreicherem Dasein Einflüsse hatten und haben.


Mit dem verbalen Input aus unglaublichen 60 Jahren Yeoville-Erfahrung und der Hoffnung auf weiteren Aktivismus und weitere Samstagnachmittage, an denen ich mehr vom "meinem" Bezirk kennen lerne, verabschiedete sich alle freundlich und entschlossen voneinander. Was blieb, sind Impulse und Bilder und Geschichten von Orten, die ich noch nicht kannte.


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