2013-05-25

Bericht in Stücken I

Vorlaufendes.

Ich bin dieser Tage nicht gut gestimmt, ich bin traurig. Um ehrlich zu sein, ich habe mir neulich sogar einen halben Tage frei genommen, als ich das Gefühl hatte, nicht einmal mehr mit meinen Kollegen über den Tag kommen zu können, geschweige denn mit Klienten. (Als psycho-sozialer Berater bedeutet Produktivität nicht, dass man stets und ständig verfügbar, sondern präsent ist. Ist diese einzigartige Qualität der psychischen Verausgabung nicht mehr gegeben, ist es besser, aufzuhören, statt weiterzumachen. Das verstehen zwar einige Menschen nicht - vielleicht weil sie noch immer der Vorstellung großer Bürogesellschaften der 1980er Jahre aufsitzen - aber dazu zwinge ich sie auch nicht. Für mich hat die Begründung emotional turmoil mehr Aussagekraft als leichter Kopfschmerz).

Stattdessen half mir die sehr effektive Emotionsbewältigungsstrategie des Skateboardfahrens. Im Prinzip wollte ich allein sein, aber das ging einfach nicht, hier auf den Straßen Joburgs. Ich lernte einen Pennäler kennen, rank und schlank in seiner Schuluniform mit den Abzeichen des Klassensprechers, des Schachclubvorsitzenden und, wie anders, mit dem güldenen Blech für herausragende sportliche Erfolge. Er schwatzte mit mit, ich mit ihm, wir unterhielten uns über Schule und Studium („Man muss doch studieren, wie kann man da jeden Freitag Party machen?“), die Nachbarschaft („Cool hier.“), die dramatische Vergangenheit Yeoville-Bellevues („Das waren turf wars, Mann!, Gangster liefern sich Duelle mit Polizisten!“), über ausreichenden Schlaf (er viereinhalb, ich neun Stunden), über das Skateboardfahren („Welche styles kannst Du mir zeigen?“, „Bist Du schon 'mal auf das schräg-stehende Straßenschild gesprungen?“, „Es ist schon unglaublich, was diese Typen im Fernsehen mit dem Skateboard anstellen können!“), Englisch usf. und vergaßen darüber, warum wir eigentlich aufeinander getroffen waren - Ich, weil ich das powersliden nicht hinbekam, er, weil er nach Hause wollte. Zum Schluss begleitete ich ihn ein Stück des Weges, bis dieser sich für uns beide trennte. Danach hatte ich eine weitere Übung in Yoga (seit ungefähr zwei Monaten von einer Kollegin angeboten und von uns als Hausgemeinschaft äußerst wohlwollend angenommen) - ein anderer, weitaus weniger physisch-risikoreicher Balanceakt, was ihn aber nicht gerade weniger gefährlich macht. Die Kontemplation setzt beinahe automatisch ein, die Gedanken purzeln und während ich noch im halben Lotus krampfe, rinnen mir die Tränen über die Wangen. Ausreichende Konzentration auf basales Atmen beruhigen mich wieder und ich spüre dem Dehnschmerz noch zwei Tage später nach.

Die Gründe zur Traurigkeit erklären sich vielfältig, bei genauerem Hinsehen einseitig. Ich kann da zwischen öffentlich-vielfältig und privat-einseitig gut unterscheiden. Öffentliche Rechtfertigung:
  1. die durchaus als (wind-)schief zu beurteilenden Gefühls- und Lebenslagen meiner Klienten greifen über - sekundäre Traumatisierung und Grenzüberschreitungen - hallo, Ihr Hübschen! 
  2. In absoluten Stunden gemessen, arbeite ich viel; vielleicht Stress und zu wenig Spiel-Raum (Stichwort Skateboard)? 
  3. Meine Verantwortlichkeiten sind enorm gewachsen. Alles, was ich vergesse, verfolgt mich und begegnet mir wieder - frustrierende Erfahrungen wachsen durch die Enttäuschung anderer. 
  4. Der Ausgleich fehlt (Stichwort Spiel-Raum). Ich komme nach Hause, präpariere eine warme Mahlzeit, lese noch ein bisschen oder (häufiger der Fall) kümmere mich um die hausgemeinschaftlichen Notwendigkeiten und gehe erschossen ins Bett. 
  5. Ich bin zu wenig unter Menschen. Das Soziale an meinem Leben beschränkt sich auf die Arbeitskontakte und wird nur manchmal unterbrochen, wenn ich auf der Straße / in der Kaufhalle oder im Café (selten) bin. Die bereichernde Erfahrung der mitgeteilten Perspektive von anderen oder auch das Adressieren von Gedanken an andere bleibt aus. Letzteres ist allerdings eine selbstbestimmte Angelegenheit. 
  6. Und vielleicht noch als Ergänzung: Musik und Tanz. Mir fehlt das Studien-Freitagabend-Ausgeh-Programm (wenngleich ich es nicht immer nutzte - es ging um das bloße Angebot). So ziemlich alles, was Innerstädtisch passiert, ist musikalisch nicht nach meinen Geschmack. Da bleibt dann nur die Kopfhörerdisko im eigenen Zimmer (was nicht einmal annährend ähnliches Erleben produziert, selbst wenn ich versuche, die Lichtquellen schnell an und aus zu schalten).

Um ein bisschen um den privat heißen Brei herum zu reden: es herrscht Stille im Wald der digitalen Kommunikation. Dabei meine ich nicht so sehr meine Eltern (Mama, Papa, Ihr seid unheimlich fürsorglich, wenn es darum geht, für mich da zu sein und das ist in seiner gesamtheitlichen, überbordenden Wirkung etwas von schlecht-zu-verbalisierendem, aber höchstem Stellenwert.); ich meine die tiefen, selbst-bestimmten Beziehungen, die mich ebenfalls auszeichnen und tragen können, die mich stabilisieren oder die mir überhaupt Halt geben.

Was wäre ich ohne die mir zur Verfügung stehende Sprachlichkeit? Elendig gelangweilt. Aber was bin ich ohne den Austausch von Gedanken-welten? Elendig einsam. Und schließlich lande ich bei dem, was mich betrübt - einer gedanklichen Impulslosigkeit, die mich selbst unter der Bettdecke frieren lässt. Ich spiele nicht das name-and-shame-Spiel und ich will das implizite Appell gar nicht. Aber ich spreche von mich bestimmenden Gefühle, die mir seit einer gewissen Zeit tiefes Kopfzerbrechen über den vielen Fragezeichen bereiten (das 'Zerbrechen' ist wörtlich zu nehmen; es beginnt hinter der Stirn und vollzieht sich bis zum Nasen-Wangen-Bereich, streckt sich bei Kälte aus und könnte, glaube ich, wäre ich ein emotionalerer Mensch, durch ausgiebiges Weinen und Weinen und Weinen kuriert werden. Vielleicht).


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1 comment:

  1. Die anderen Stücke werden peu-à-peu (tagweise?) verbloggt und später in ein transferierbares Stück Digitalität verpackt und versandt. Ich versuche mich in der Kunst der kürzeren Meldungen. Social Media sei's geschuldet.

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