2012-05-09

Nachträge II

Das U-Bahn-Tier. (Für Anne und Borges.)

Hinab geht es, hinab.
Dahin, wo elektrisches Licht allein herrscht. (Und auch das Andere.)
Mit jeder Stufe,
Mit jedem Abstieg,
Wird ein Mensch zu einem Ding.
Und erst der ersehnte Wiederaufstieg in den Tag läßt,
Die Blässe, den Schweiß, den furchtsamen Blick,
schwinden.

Die Dinge lassen sich halbautomatisch bewegen.
Hier unten.
Schranken werden passiert.
Hier unten.
Chips in Schächte gesteckt.
Karten gestempelt.
Ventilatoren brummen konstant und vertreiben den Staub,
Dieses menschliche, lebendige Etwas, diese organisch-
anorganische Substanz des Lebendigen.
So wird alles dinghaft hier. Oder es vergeht.
Hier. Hier unten. Im Hinab.

Das Rauschen der angestellten Röhren:
Nachrichten von Oberhalb und entzündete Gase.
Das Artifizium ist erreicht,
Es ist unsteigerbare Künstlichkeit.

Dann die Stille vor den Geräuschen,
Alles horcht  und schaut und riecht.
Selbst die Röhren und ihre Freunde, die Ventilatoren,
Scheinen gedämpft.

Das Rumpeln der Ferne wird,
Zur Vibration in den Dingen,
Die mit den Böden sich berühren.
Das einzig Herrschende - neben dem Licht -
Hier unten,
Das mechanische Tier,
Der Apparat,
Er nähert sich.

Sein Ächzen ist atemnehmend.
Entgegen der Natur der Dinge,
Halten sie ein, fliehen nicht.
Ihr Angewurzeltsein kostet sie Überwindung an ihren Plätzen.
Ihr Stillstand für diese Augenblicke,
Steigert die angstgereicherte Dichte der dröhnenden Dunkelheit,
Die das Tier vor sich herschiebt.
Es kommt an.
Es schnauft.
Es öffnet sich.
Die elektrische Raupe lädt zur Fahrt.
Gespenstisch das Suchen der Einstiege durch die Dinge.

Im Innern.
Ein schriller Pfiff. Ein schmerzhaftes, letztes Zuschlagen der Türen,
Bevor dem Entrinnen keine Hoffnung mehr bleibt.
Ein Moment der Trägheit, dann,
Die Fahrt in die Schwärze der Tunnnel.

Alles ist alt, morsch, betagt im Innern.
Die Sitzbretter der Bänke,
Sie pressen auseinander, ihre Farbe,
Zeugt von unzählbar oft überstrichenem Firnis.
Ringe, an Leinen an die Decke gebunden,
Schwingen harmonisch im Gleichtakt,
Zum Fluß über das Gleisbett.
Dunkle Ästhetik im braun-gelben Licht,
Der alten, glimmenden Leuchten.

Abruptes Ende. Kein Ding merkt, wie
Die Fahrt - in der Unendlichkeit der Tiefe -
unterbrochen wird.
Nur, ein letztes Mal,
Werden die Dinge ungewollt vor ihrem Abgang bewegt.
Darauf fliehen sie hinaus, hinaus aus dem Innern,
Die Raupe gibt sie frei aus der Gefangenschaft der Schwärze.
Sie vermischen sich wieder, werden wieder Mensch oder Person.

Und ich?
Betrachte sie ein letztes Mal bevor,
Die Tunnel mich wieder aufnehmen,
Wie das Schraubglas den Glühwurm konserviert.
Ich zittere noch und denke,
Ob ich nicht doch einen Teil meiner Lebendigkeit,
Habe mit mir nehmen können?
Dann die Gewißheit, daß ich schwinge, wie die Ringe an der Decke.
Hinab. Immer geht es hinab.
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