Behagliches Dasein.
Ich lebe in einem Hotelzimmer. Was sich komfortabler anhört, als es letztlich ist. Vielmehr möchte ich meinen, hier etwas gefunden zu haben, das sich am Ehesten als eine Schlafgelegenheit anbietet, die den 1920er Jahren in Paris, eventuell auch Berlin am Nächsten kommt. Ein Neonlicht erhellt meine Kammer, eine durchgelegene, dafür in freundlichen Farben angezogene Matratze mein Gemüt. Die Türen zum Patio sind alt, haben aber Glasfensterchen, die zumindest halbseits geöffnet werden können, um Licht einzulassen. Die Tür zur lärmenden Straße und Außenwelt dagegen verweigert sich jeglicher Helligkeit, weil vor sie noch weitere Flügeltüren gespannt wurden - der Strauchdiebe und vermutlich der Sonne wegen. Eingegittert bin ich in meinem Erdgeschoss jedoch nur bis zur Hüfthöhe, was, wenn die Ketten der Sonnenschutzflügel nicht da wären, einen leichten Zugang in mein temporäres Domizil erlaubte. Ich fühle mich dennoch ziemlich wohl und sicher, wobei ich natürlich sagen muss, dass dieses Wohlsein gesteigert werden könnte, wenn ein Gespräch mit der herzlichen Vermieterin zustande käme, was außerhalb der Begrüßung und des Abschieds oder des simplen Nickens und Bejahens stattfände. Aber da war ich bereits weiter oben, eine Beschwerde vorzubringen habe ich nicht.Weiterer Komfort.
Ich teile die Bäder - es muss Plural herrschen, denn von den Bädern gibt es nicht nur zwei separate, sondern es finden sich in ihnen gleich mehrere Einzelkabinen - mit allen An- und Einwohnern des Hotels. Das sind ungefähr zwanzig Personen, obwohl ich mir nicht sicher bin, da zu viele Kinder umher tollen und zu viele Frauen in der Küche tagsüber werkeln, als dass ich sie wirklich genau abzählen könnte. Zurück zu den Bädern. Sie sind durch eine geschickte Kombination von effektiver Raumnutzung und Komfort mit Toiletten und Duschen pro Kabine versehen, sodass, wer will, während des einen Vorgangs gleichzeitig der andere in Anspruch genommen werden kann. Kacheln vergangener Dekaden wurden zerschlagen, um Abflüsse möglich zu machen, genau da, wo ehemals keine Abflüsse waren und das Wasser hinfließt. Weitere Kacheln wurden entfernt, um eine bessere Beeinflussung der Spülwasser der Toilettenbecken zu ermöglichen, will heißen, ich greife in die Wand, in der sich ein Spülabzug befindet, um diesen manuell zu regulieren. Ich befürworte das Ganze unter ökologischen Aspekten, meinen ohnehin pragmatischen Ästhetizismus (gibt es das überhaupt?) zurück stellend. Weitere Nutzungsspezifikationen der Bäder ergeben sich erst aus ihrem regelmäßigen Gebrauch: dient die eine Kabine dem Abgang, so die andere dem Waschen der Hände, ist warmes Wasser gewünscht, so gebrauche man die rechts gelegenen Bäder, wohingegen kaltes Wasser eher in den linken zu finden ist. Das alles ist hübsch ausgeklügelt und erdacht und organisch in EntwicklungUnbezahlbar.
Der größte Luxus, den ich ganz gewiss nicht zu finden gedachte, ist der Service, den "Jose Bruno" mir anscheinend dauerhaft zur Verfügung stellt: seinen Internetzugang. Das Netz gleichen Namens läuft frei und ohne Einschränkungen, was mich in die Lage versetzt, nach meinem Willen und Zeitplan online zu recherchieren, statt auf beschränkte und zu vergütende Nutzung zu bauen. Ich bin Jose sehr dankbar, wenngleich ich immer nur vermuten kann, wer der edle Spender ist.Buenos Aires.
Das obige Bild, das ich während eines städtischen Streifzugs mit meiner Handykamera aufnahm, dokumentiert zwei wesentliche hiesige Prozesse und einen dritten, allein den deutschen Wortwitzlern zugänglichen Lippenschmunzler. Zum einen steht darin das gewünschte, imperativische Gegenteil zur argentinischen und wohl weltberühmten Fleischtradition, zum anderen die auch hier stattfindende, internationale Gentrifizierung.
"Go veg!", übertragen und ausgesprochen: "Werde vegetarisch" bzw. "Werde Vegetarier", ist wohl ein gut gemeinter Rat einer bestimmten Sparte ökologisch-nachhaltiger Menschen, die mehr Menschen dazu anregen wollen, sich für einen gewissen Lebensstil zu entscheiden. Allein das Ausrufezeichen stört. Denn obgleich ich selbst vegetarisch lebe, selbst in Argentinien kein totes Tier anrühre (wohlwissend, dass sich dabei so mancher Gesichtszug der Lesenden in Trauer verkehren könnte), so vertrete ich eher den Ansatz von z.B. Jonathan Safran Foer, ausgeführt in dem Buch "Tiere essen", der feuilletonistisch zusammengefasst in etwa lautet: 'Zurück zum Sonntagsbraten, dem einmaligen, wöchentlichen Fleischgenuss, statt dem alltäglichen Dauerkonsum der Billigwurstwaren'. Oder anders: 'Weniger ist mehr und jeder Verzicht ein Fortschritt'. Dass ich für mich entschied, keinerlei Wurst und Fleisch noch Fisch zu essen, ist dabei weniger relevant. Was mir abgeht, ist ein Dogmatismus bzw. ein Vorschreiben jeglicher Lebensweise.
Internationalisierung.
Gentrifizierung hingegen heißt "Hip-werden". Die Aufwertung eines Stadtteils erfolgt durch das Hinzuziehen finanzstärkerer, gut gebildeter Schichten, die die niedrigen Mieten ebenso sehr genießen, wie die vormals ärmere Bevölkerung. Während aber die Letzteren keine höheren Mieten ertragen, ist der Spielraum der zumeist studentischen, jungen, in die Kreativbranche Strebenden größer. Modeläden verdrängen nun langsam Gemüseverkäufer, Bioläden das Handwerk, Appleprodukte die Billigbierflasche. Sanierungen werden durch Finanzinvestoren vorgenommen und ein vermeintlich schönerer, sichererer, gefälligerer Stadtteil entsteht, der allen offen steht, die genügend Peseten haben, um sich an den Lorbeeren des Images oder Trends zu beteiligen.
Palermo oder Recoleta, La Boca oder San Telmo stehen für die Barrios (Bezirke), die bereits aufgewertet sind, Once und Almagro werden mit großer Wahrscheinlichkeit die Nächsten sein.
Mit dem Zuzug der bürgerlichen Schichten verlieren in absehbarer Zeit (oder verloren bereits) diese Stadteile den Reiz des Ruchvollen, Künstlerischen, Morbiden. Der Charme verschwindet mit der Homogenisierung der Bevölkerung.
Synthese.
Wenn demnächst also das "Go Veg!" endlich als das verstanden wird, was Deutsche, die derzeit hier aus irgendeinem, kulturell völlig unerklärlichen Grund angesagt sind, ohnehin beim Lesen verstehen, nämlich als der den verzweifelten Versuch, zu stoppen, was in so vielen Städten unaufhaltsam-gentrifizierend geschieht, dann ist nicht mehr der Wunsch nach mehr Vegetarierismus gemeint, sondern das Gegenteil: Romanes eunt domus!
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