2013-06-23

Die zwölfte Sprache.

Das Alphabet der Zeichenformen für Nicht-Blinde.

Beinahe am Ende meines Aufenthalts werde ich endlich der Sprache mächtig, die auch für mich eine wichtige Rolle spielte - die Handzeichensprache der Taxifahrer. (Ich berichtete schon kurz darüber.)
Ich besuchte das Wits Art Museum (WAM) in Braamfontein, um mir ein Bild der Ausstellung zu machen, die eben für jenes, bereits erwähnte Büchlein bzw. die damit verbundenen Projekte der Künstlerin Susan Woolf kuratiert wurde.
Der Eintritt des WAM wird generell jedem geschenkt und da ich Glück hatte, dass genau an jenem Besuchtstag Susan Woolf selbst anwesend war, um sich zu erklären, bekam ich sowohl die oben abgebildete Broschüre als auch das Taxizeichenbüchlein dazu.

Was soll das Ganze? Woolf schreibt eine Dissertation über ihr Projekt und hat nicht nur ambitioniert und mutig nach den Ursprügen der - wie fast allen Sprachen zu eigen - dynamischen, sich evolvierenden Kommunikationsform gesucht, sondern auch Braille-Zeichen für Blinde entwickelt. Obwohl blinde Menschen generell wie jeder andere auch durch die Minitaxis transportiert werden und auf ihren Strecken ebenfalls die Zeichen kennen, reichte das Woolf nicht. Es ist ein bisschen so, wie mit dem Metrobussystem: erst die Ordnung verschafft für Manche Befriedigung.

Auch wenn jedes Zeichen bzw. jede Buslinie erfragt werden kann und die Taxi- bzw. Busfahrer schon einmal anhalten, um Auskunft zu geben, wenn niemand weiß, wohin es geht, so ist doch der apriori-Versuch exakter Kenntnis ein vielversprechender. Mit Woolfs Buch (oder eben mit Jizzy Lebigs Karte) kann jede Person vorab Zugriff auf die Erfahrungen anderer haben.

Ich sehe darin nicht nur den Versuch, das Informelle fassbarer zu machen (nach und nach zu formalisieren), sondern auch die langsame Ablösung der oralen Narrative hin zu schriftlichen (westlichen) Ordnungs- und Verständigungsstrukturen. Es ist dies das Begreif- und Verfügbarmachen - ein Demokratisierungsversuch, denn jede/r kann fortan auf ein zuvor exklusives Wissen zugreifen, das hohe Barrieren hatte. Zum einen gab es die Barriere der Sicherheit (wer fährt Taxi? Zumeist die arme, pendelnde Bevölkerung, die sich kein eigenes Auto leisten kann). Zum anderen die der zweifach Verschlüsselung (wer spricht die Sprachen des Taxifahrers? Wer kennt die Zeichen für die Routen der Taxifahrer?).

Ich komme langsam zu dem Punkt, an dem ich erkenne, wie offen Johannesburg in der letzten Dekade geworden sein muss und dass gerade diese Offenheit nicht nur ein Motor der Zuversicht für eine prosperierende Stadtzukunft / -vision ist ("A world-class African City", so der slogan), sondern auch, dass diese Einladung endlich allen Menschen gilt.
Neulich stolperte ich über mehrere Zeitungsartikel, die beschworen, wie sehr der urban dekay für die innerstädtische Flucht verantwortlich war und wie sehr jetzt und in naher Zukunft daran gebastelt wird, die Verlockungen der Innenstadt wieder aufzugreifen und (leider stark monetär getrieben*) nutzbar zu machen.

Fingerzeig für "Jo'burg CBD / Noord Taxi Rank"

Da ich mich sehr stark mit den Werten der idealen Stadt  identifiziere (Nähe, Multikulturalität, Fühlungsvorteil [im weiten Sinn], Emergenz, unvermeidliche Begegnung), let's move!


* Das hat mindestens zwei Seiten: dass Geld nicht nachhaltig ist, liegt am derzeitigen und weltweiten Geldsystem. Dass es aber Unterhaltungswert hat und ein primäres Ziel, ja ein Ziel an sich geworden ist, kann so schnell nicht mehr verändert werden. So sehr ich auch an einem Freigeldexperiment à la Wörgl interessiert wäre, so sehr sehe ich auch die Machtverhältnisse, die dies in Schranken halten und hielten. Meine Hoffnung: dass die am Geldumlauf partizipieren, die über die Jahre geblieben sind.



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2013-06-09

Bericht in Stücken IV.

 

Auslaufendes.

Neulich gab es ein Feuer auf dem veld hinter unserem Haus. Es entwickelte sich aus einem Müllcontainer heraus, der im unteren Bereich leckte, Flammen auswarf und den Wind für den Funkenflug nutzte. Durch die jetzige Trockenzeit ist das hohe Gras strohartig und da brauchte es nicht viel, um einen Flächenbrand zu entfachen. Prinzipiell benötigt die natürliche Vegetation genau das: die Erneuerung der Flora findet über den Brand statt. Würde Johannesburg nicht Stadt sein, so wären die hohen Gräser so ziemlich das Einzige, was zu sehen wäre. Eine hügelige, trockene Landschaft, in die häufig der Blitz einschlägt. Der Leiter des Partnerprojekts in Mpumalanga sagte, manche Pflanzenarten können nicht anders keimen, sie entstehen nur, wenn das Gras verbrannt ist, die Sonne an sie heran treten kann und die fruchtbare Asche für den Nährboden sorgt. Doch es ist nun einmal städtisches Gebiet, dieses Johannesburg und irgendein Müllentsorger mit Zugang zum Container (der ziemlich verlassen und allein herum steht) brachte es fertig, den Gedanken, den größeren, angesammelten Müllberg durch ein Feuer reduzieren zu wollen, in die Tat umzusetzen. R. war die erste, die aus ihrem Zimmer in die Küche kam, um mich zu informieren. Sie sagte, eine unbekannte Nummer hätte sie angerufen, sie sei aus ihrem Dösen erwacht, hätte aus dem Fenster geschaut und das veld in Flammen gesehen. Ein paar Minuten später erhielt ich auch einen solchen stummen Anruf. Bei Abnahme gab es keine Meldung. Die Nummern zwischen R. und mir stimmten überein. Was das sollte, wird wohl ein Rätsel bleiben. Wir informierten T. und dieser rannte sofort mit Eimern in den Händen hinaus. Er sagte, wir müssten das Feuer eindämmen, andererseits könne es Überhand nehmen und bis zu den nachbarlichen Häusern und gar unserem Haus vordringen. Ich war erst ziemlich gelassen und reagierte mit einem 'pff', aber als ich schließlich im Gras stand, nahe des Feuers, wurde auch mir klar, dass die Sache nicht spaßhaft-heiter genommen werden sollte. Schnell war übrigens auch klar, dass wir mit drei Eimern und einem nicht funktionalen Wasserschlauch nicht viel erreichen konnte. T. entschied, die Brandherde mit einem Ast auszuschlagen. Das wirkte. Allerdings überkamen mich doch Zweifel und ich rief die Feuerwehr. Jedoch beließen wir es nicht beim Warten und kämpften. Wir waren schneller als die Feuerwehr. Wir zerschlugen das Feuer mit unseren Ästen und röchelten ein bisschen in dem Atemwegen dabei. Nachdem der Brand aus war, trudelte das große Feuerwehrauto ein und die Herren löschten schließlich den noch brennenden Container. Ich weiß nicht genau, was die Konsequenz sein wird - die Feuerwehrmänner sprachen davon, dass der Einsatz bezahlt werden müsse, dass die private Müllverbrennung eine Straftat sei usf. Für mich war es ein kleiner Aufreger und für alle Beteiligten Hilfs- und Ausnahmelöschkräfte entstand, so schien es mir, ein Gefühl, Gutes gemeinsam getan zu haben.

Ich glaube, ich werde das veld vermissen. Schließlich war es mein Schreibtischausblick über die letzten neun bzw. zehn Monate. Ich bemerke schließlich, wie sich das eine Jahr Johannesburg dem Ende neigt und ich spüre ambivalenten Gefühlen nach. Zum einen weiß ich, dass ich mich darauf freue, zurück zu kehren, dass ich wieder etwas Neues beginne, dass ich um eine Arbeitserfahrung reicher bin und um eine gefühlte Entscheidung ebenso. Zum anderen denke ich: das war es? Müsste ich nicht noch ganz viel tun? Natürlich kann ich mich gegen Letzteres wehren: es sind beinahe nie die äußeren Dinge, die etwas in mir voran treiben, es sind fast nie die Beweisstücke des Orts, die mich zu verändern in der Lage sind. Es ging und geht für mich darum: was habe ich gedacht? Was habe ich gefühlt?

Und nichtsdestotrotz versuche ich noch ein paar anderen Orte zu sehen. Ein ehemaliger Kollege wird ein Seminar außerhalb von Johannesburg veranstalten und da die Lage idyllisch erscheint, fragte ich ihn, ob ich ihn begleiten könne. Er stimmte zu und ich werde an einem der nächsten Wochenenden zum Sediba Mountain Retreat Centre in Hartebeespoort fahren. Ich werde auch eine Urlaubswoche im Juli an der Ostküste nahe Durban verbringen. Ein Freundin T.s lebt dort und lud uns ein. Danach bleiben mir noch ein paar freie Tage vor dem Flug für den Abschied von den Dingen, die mich umgaben, für ein bisschen Ruhe (den letzten Bericht?), für ein bisschen Skateboard, ein letztes Foto oder den letzten Traum im House of Dreams.

Aber was wird aus Johannesburg? Ich bin noch nicht ganz am Ende angelangt, ich habe noch zwei Monate hiesiges Leben vor mir, ich muss jetzt noch nicht Abschied nehmen. Mal sehen. Ein zukünftiger Ausblick: meiner Fantasie nach werde ich noch einmal studieren. Architektur aus anthropologisch-soziologischer Perspektive. Den ersten Abschluss erreiche ich in Berlin, dann kehre ich nach Johannesburg zurück, um urban informalism in Folge zu studieren. Meine Studentenwohnung wird in Braamfontein liegen und ich werde es jeden Tag genießen, Teil einer studentischen Aktivistenbewegung zu sein, in einer Stadt, die rauscht anstatt gemächlich zu schwappern.

UPDATE: via ist die pdf Datei vom zusammengefügten Bericht abzurufen (153.8Kb)


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2013-06-04

Johannesburg Metrobus - BRT - Gautrain bus map.

http://www.ikimap.com/map/johannesburg-metrobusbrtgautrain-bus-map

Dieser Hyperlink ist in gewisser Weise ein blog-Unfall: unbedacht versuchte ich auf einem anderen Blog einen Link zu setzen, was sich aber als Querverweis herausstellte. Und so landete der Eintrag über den Johannesburger Busfahrplan bei mir.

Das Bemerkenswerte liegt wieder einmal in der Informalität der Angelegenheit. Das Metrobus-System ist ein gut ausgebautes Busliniensystem, das Millionen von Joburgians in und um Johannesburg herum in Mobilität versetzt. Der Aspekt der Funktionalität beschränkt sich allerdings auf die fahrenden Busse inklusive der Fahrer. Alles weitere ist ein kommunikativer Alptraum. Es gibt kaum/keine Buszeittabellen, kaum/keine Bushaltestellenaufsteller und es führt eigentlich kein Weg daran vorbei, jeden einzelne/n Busfahrer_in zu fragen, wohin ihr/sein Bus fährt.
Auch das Internet ist seit Langem in der Warteschleife, wenn es um den Metrobus geht.
Allerdings hat @Jizzylebig (twitter) keine Kosten und Mühen gescheut, um beinahe das gesamte Metrobusnetz auf einer eigenen Karte abrufbar zu machen. Das ist fantastisch und darf mit Applaus bedacht werden. Es ist, als hätte er dem Unternehmen im Singular vorgeführt, dass eine einzelne Person fähiger ist, die Transportwege transparent zu machen, als es selbst.


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