2013-05-31

Bericht in Stücken III

Einlaufendes. 

Es ist Zeit, an dieser Stelle auf manche technischen Unterschiede zwischen Deutschland und Südafrika hinzuweisen, die im Johannesburger Leben eine Auffälligkeit darstellen. Nicht, dass ich Mißverständnisse produziere: alles ist kaufbar. Das bedeutet in der Konsequenz, dass wer Geld besitzt, alles kriegen kann. Wie fast überall. Aber durch die mehrheitlich prekären Umstände der Vielen wirkt sich das in der allgemeinen Staffage nicht sonderlich aus. Gut, wenn ich einen Maserati, das neueste iPhone und den Stadtpalast sehen will, dann radele ich in die nördlichen Bezirke. Blicke ich aber auf meine Umgebung, dann sehe ich alte Opels, vielgefahrene Benz' oder deutschbeflaggte Golfs (eher aus der ersten Generation denn aus der aktuellen). Wunderschön sind auch die gebeutelten Audis, die aus kleineren, Trabant-ähnlichen Motoren röcheln und denen bei geringster Steigung die Puste, will sagen, der Ofen ausgeht.

Aber nicht nur PKW sind älteren, abgelegten Datums, sondern auch Kleider. Erst vor ein paar Wochen stieß ich in Orange Grove auf einen charity shop, der abgelegte Kleider aus Übersee zu Minimalpreisen verhökert (wenngleich er dabei noch Gewinn macht). Das vom freundlichen Inhaber erläuterte Verfahren ist Folgendes: Containerladungen voller Wäsche werden z.B. in Europa gesammelt, kategorisiert und dann verschifft (fast jeder kennt die beigen Kleidersammelcontainer und potentiell dahinter steckende Machenschaften). In den Ankunftshäfen warten die Händler auf diese Waren und kaufen im Auktionsverfahren. Was genau in den Containern enthalten ist, wird grob deklariert: Hemden, Mäntel, Trenchcoats, Shirts, Pullover, Schuhe, etc. Es gibt ja nicht nur charity shops (die ihre Gewinne prozentual an gemeinnützige Organisationen weiter geben). Viele Hafen-Händler reisen in die Johannesburger Innenstadt und reißen an Samstagen die großen Kleidersäcke auf und lassen Menschen im „Buddel-Dich-durch“-Verfahren wählen, was ihnen gefällt und/oder passt. Die Preise sind immer verhandelbar, die Klamotten riechen ein bisschen muffig. Ich vermute, dass hier die zweite oder dritte oder vierte Auslese-Kategorie aufgetischt wird. Und es ist immer voll: die Menschen kaufen. Das Johannesburger Stadtpanorama ergänzt sich somit: funktionslos gewordene Architektur (unbenutzte Büroriesen und Hotels) gemischt mit abgelegten, z.T. bunten, mondänen oder einfach nur auffälligen Kleidern - Tierpelzen z.B., die zu Jogginghosen und Schlappen getragen werden oder auch italienische Sakkos, die ihren Reiz zu deutschen Motivshirts ausspielen. Einmal traf ich ein kleines Mädchen, das mit der Aufschrift „Rummachen“ umherlief - eine mich fröstelnd-zurücklassende Begegnung, deren Sarkasmus im Land der Vergewaltigungen und Kinderverbrechen keinen Lacher in mir auslösen konnte.

Alt vs. Neu.

Persönlich vom Einlauf betroffen sind meine Kleider: wann auch immer ich sie zur lokalen Wäsche bringe, ich erhalte sie zuverlässig um gefühlte Zentimeter zurück. Das hat ebenfalls mit der technischen Ausstattung zu tun. Nach meienr Beobachtung kennt die hiesige Waschmaschine keinen präzisen Temperaturregler. Sie unterscheidet nicht Buntes und Weißes, sondern Niedrigtemperatur und Hochtemperatur (ich vermute, unter Letzteres fallen Handtücher und Bettwäsche). Dem hiesigen Trockner allerdings, spreche ich die schlimmere Wirkung zu: haben meine Kleider den kalten Wirbel und die Kernseifeprozedur überstanden, so geraten sie in unmäßig heiße Winde und Strömungen, die in kürzester Zeit die größten Kürzungen vornehmen. Die Schnelligkeit gewinnt hier das Argument, denn ich bin nicht der Einzige, der Wäsche vorbei bringt und Zeit ist Geld und der Kunde wählerisch. Sollte die Wäsche nicht pünktlich fertig sein, nun, eine andere Wäscherei weiß im Block um die Ecke zu überzeugen. Nun, In knappen Shirts habe ich mich schon immer am Wohlsten gefühlt.



Der psychotherapeutische Einlauf ist dagegen etwas, was mich nicht nur konstant umtreibt, sondern auch ein festes Datum bekommen hat. In der letzten Juniwoche wird eine Ferienprogramm zum Thema 'Verlust/e' stattfinden und ich bin stark involviert.

Durch den Anreiz becirct, etwas von mir in das Programme mit hinein zu bringen, entschied ich mich für die konzeptuelle Ausarbeitung des Konstrukts „Komplizierte Trauer“ und deren quantitative Analyse. Erstaunliches ist geschehen passiert: ich war damit in der Lage das halbe Ferienprogramm in Frage zu stellen und ebenfalls die organisatorischen Autoritäten.

Was ist geschehen? Ich hatte schon während des Studiums über das Konstrukt gelesen: praktisch-orientiert, verhaltenstherapeutisch. Allerdings wusste ich nicht, welche Forschungsarbeiten dazu vorlagen und so suchte ich danach. Ich stieß auf George Bonnano. Dieser feine Herr hat sein Lebenswerk dem grief gewidmet. In Längsschnittuntersuchungen fühlte er dem Konstrukt nach und fand in hohem prozentualen Vorkommen, dass Komplizierte Trauer ein Randphänomen sein sollte. Dies deshalb, weil die meisten Menschen ohne weitere Intervention der therapeutischen Industrie dazu in der Lage sind, ihre Verlustgefühle von selbst zu regulieren, aber das breitgefächerte therapeutische Angebot diesem Fund diametral gegenübersteht. Betroffene können sich eigentlich gar nicht vor dem hausierenden Verlust-Berater verstecken. Bonanno stellte also eine seichte Diskrepanz fest und machte sich keine Freunde damit, Therapeuten und Beratern und seelischen Heilern vorzuhalten, sie überinterpretierten, ja katastrophisierten die Folgen von Tod und Verlust und vermarkteten Geschäftsinteressen. So wie jede gute Versicherung mit der Angst ihres Klientel spielt („Ja, so eine Flut kann auch das Alpenvorland bedrohen.“), so wirbt auch die grief industry mit übertreibender Vorsicht.

Bonnanos Arbeiten beinhalten ein weites Altersspektrum und können als ausführlich deklariert werden: er befragte Kinder, die ihre Eltern, und schritt voran bis zu alten Menschen, die ihre Lebenspartner verloren hatten. Die Mehrheit der tausenden von Befragten konnte die Verluste verwinden und nur etwa zehn Prozent von ihnen litt unter zu behandelnden Symptomen, wie übermäßiger Trauer, die jeden Tag auftrat, dem Wunsch nach Wiedervereinigung mit der geliebten Person, einer Identitätskrise, der Schwierigkeit, den Verlust anzuerkennen und anderen, depressiven Erkrankungen ähnlichen Phänomenen. Ein zeitliches Kriterium stellten sechs Monate dar, in denen die genannten und weitere Symptome regelmäßig auftraten. Zusammengenommen mag all das auf den ersten Blick zu streng aussehen, wenn doch beinahe fast jeder Mensch die Gefühle intensiver Trauer bezogen auf einen Verlust erlebt hat, ihre Wogen vielleicht noch detailliert erinnert und daran mit Tränen in den Augen zurückdenkt und sich weitere Hilfe gewünscht hätte. Aber genau in dieser Beschreibung findet sich, dass der Verlust verarbeitet wurde: er hat einen festen Sitz in der Erinnerung, er ist autobiographisch verankert und zeitlich festgelegt. Er ist schlicht vor dem Ich anerkannt, als endgültig definiert und die Wünsche zur Wiedervereinigung finden sich allein in religiösen Vorstellungen vom Tod. Damit ist die klare Grenze zur Behandelbarkeit gezogen. In einer solchen Wahrnehmung vom Tod, ist keine therapeutische, beratende Hilfe vonnöten. Andere Resourcen sind gewiss hilfreich, wie die familiäre oder freundschaftliche oder eben religiöse Zuwendung, die Ablenkung durch andere, die integrierende Erinnerung an den vermissten Menschen, an seine Schwächen, Macken oder Liebreize. Aber alles andere: laut Bonnano unnötig.* 

*Ein illustrierendes Beispiel von der schwierigen Verarbeitung von Tod beschreibt Joan Didion, die den Verlust ihres plötzlich verstorbenen Ehemanns John Dunne nicht erträgt. Zu lesen in: „The Year of Magical Thinking“.

Nun ist aber die Organisation, in der ich arbeite, aus anderem Holz geschnitzt, als ich. Sie arbeitet vorwiegend nicht mit Fragebögen oder auf der Konstruktebene, streitet nicht über Validität und akzeptiert das klinische Urteil als weitestgehend übereinstimmend zwischen den verschiedenen Mitarbeitern und als das wichtigste Entscheidungskriterium überhaupt. Die Orientierung und Herkunft ist eher als psychodynamisch zu beschreiben, wenngleich mit dem Fokus der Klienten-zentrierten, Rogerschen Arbeitsweise. Und sie hat Erfahrungshoheit, diese Organisation. Und genau gegen all das rebellierte ich.

Als erstes stellte ich meine Kritikpunkte vor, beschrieb, wie vorschnelles diagnostisches Urteil langfristig ungünstigere Folgen hat als stilles Abwarten und Zahlenzählen, sprach über die empirische Forschungslage und machte Zweifel zum hiesigen Selektionsprozess deutlich. Dann fügte ich als mich absicherndes Instrument das Inventar zur Komplizierten Trauer (ICG-R) in den Selektionsprozess ein, machte Kopien und verteilte fleißig an die, die den Auswahlprozess durchführten. Ich ging dabei inklusiv vor, ich lehnte nicht das bisherige Vorgehen ab (selbst kreierte Fragebögen und offene Fragen plus unstrukturiertes Interview) und versuchte mich im Eklektizismus. Was ich aber außer Acht ließ: mein Streiten war dabei dem Prozess der Finalisierung im Weg. Ich achtete nicht darauf, dass bestimmte zeitliche Grenzen für die Planung der "Trauer-Woche" galten. Und alles schien wie eine akademische Diskussion zwischen zwei Personen, die die anderen ausließ. Kurzum: ich genoß die Lage sehr, denn Ambivalenzen, die zu Veränderungen in der Lage sind, sind meine Steigbügel - besonders, wenn ich nicht mehr zu steigen brauche.

Nach einer gewissen Zeit des minimalen Fortschritts im konzeptuellen Clinch, wurde ich zum Gespräch, zur Mediation gebeten. Dass ich nicht der Mediator war, sollte an dieser Stelle klar geworden sein. Es ging um Gefühle der Unsicherheit, die ich auszulösen im Stande war, um die Position der Organisation, um die Sicherstellung der bestehenden Machtverhältnisse und um die Sorge für die Kinder, die, den parentalen Konflikt (zwischen der Kollegin und mir) unbewusst aufschnappend, sich ebenfalls in Meuterei versuchen und, geübt in patriarchalen Idealisierungen, mehr Glauben mir, denn ihr schenken könnten.

Schlussendlich einigten wir uns auf die Anerkennung der Differenzen, auf den Beibehalt der Selektionsprozedur und die leichte Überhöhung der mütterlichen Position. Ich glaube, mehr konnte ich gar nicht erwarten und das Ergebnis gefällt mir noch immer.

Seitdem digitalisiere ich fleißig Daten und werte deskriptiv aus. Ein bisschen reminiszent-nostalgische Gefühle sind dabei - meine quantitativ-forschende Ader ist also noch nicht verkalkt.


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2013-05-26

Bericht in Stücken II

 Und wer steckt hinter dieser Mauer? Und was wird da gespielt?

Mitlaufendes.

L. und F. waren in Joburg für eine Nacht. Anders als in „meinem“ Projekt, wird nicht allzu streng auf die Urlaubstage geschaut. (Ein anderer Rahmen hält her - 20 Tage versus 40+, das hat wohl mit dem individual-staatlichen bzw. organisatorischen Zeitverständnis zu tun und beginnt bei meinen Verhandlungen um ganze sieben Minuten vor vier Uhr, die ich für eine private Angelegenheit einsetzte und die mich eine lange moralische und organisationspsychologische Debatte am Folgetag kostete, und der einmonatigen Mosambik-Rundreise; anders als zu erwarten, verspüre ich nur leichte Gefühle von Neid; sie sind das leichte Aufflackern alter, external gespeister Vorstellungen, was ein einjähriges „Abenteuer in Afrika“ auszeichnen sollte [Giraffen und Löwen und wenn schon nicht das, dann Dauergewalt, Prostitution oder entmutigendste Armut]. Ich wählte und ich wusste und ich will auch gar nicht anders. Die Stadt braucht sich nicht auf.)

Wir trafen uns auf eine Runde Brause in der Innenstadt und brachten uns auf die aktuellen Stände:

A: „Was geht bei Euch?“,

B: „Gerade sind an die vierzig Enten in einem Dorf gestorben, was richtig blöd ist.“ (für all die, die nicht wissen, was F. und D. in Chai-Chai machen, es geht u.a. um empowerment und Mikrofinanzierung und dann um Enten, die ein Geschäftsmodell darstellen. Wenn also Enten sterben, stirbt das Geschäft.);

[...]

B weiter: „Kapstadt war toll, bis auf die tsotsis, die L.'s Kreditkarte kopiert und von ihr das ganze Geld abgezogen haben.“,

[...]

C: „Im Projekt ist keine gute Stimmung, weil die Sexismen und die unbedingten Machtgelüste des Chefs unerträglich sind.“,

[...]

Alle: „Na dann sehen wir uns in Swaziland wieder.“ usf. 

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Blick auf Sandton, von Ridge View aus betrachtet
Eine Freundin macht derzeit einen Fotokurs und Aufgabe ist es, backyard-mysteries zu dokumentieren. Als geübter Spaziergänger der Stadt habe ich meine eigenen Vorstellungen davon, was solche Mysterien betrifft. Ich glaube z.B., dass das Unbekannte nicht in abgebrannten Häusern zu finden ist, sondern vielmehr hinter den meterhohen Mauern in gated communities. Aber erwartbarerweise (aus der Frage des Verkaufswerts resultierend), justiert der Auto-Fokus auf Armut. Es geht eher darum, denjenigen, die fast nichts (wörtlich) haben auch noch ihre minimale Definitionsmacht im Sinne ihrer Lebensbedingungen fotografisch auszulegen. Denn wie wird der Moment mehrheitlich interpretiert, wenn sich eine Familie unter einer Bettdecke, auf einem Außenbett und freiem Himmel ihre Pudelmützen zurechtrückt, weil es nachts kalt wird?

Ohne Pudelmütze und in bester Braai-Laune präsentierte sich die weiße, sehr exklusiv-gelegene Siedlung Ridge-View [Rich-View; Link zu Google Maps; eine Ansicht einer "Burglage" kann bestaunt werden, wenn street view eingeschaltet wird]. Es ist schon erstaunlich: Straßen werden aus Sicherheitsgründen privatisiert und abgeriegelt, die Schönheit des ausschweifenden Blicks wird vom Zutrittsrecht abhängig gemacht.

Ein paar Tage ist es erst her, dass ich Melody Emmett kennen lernte. Sie schreibt über Bez Valley und ihre community, besonders beeindruckte mich aber der Einführungsseitentext auf ihrem blog über die Ursprünge des Areals. Von Bedfordview bis zur innerstädtischen End Street war alles eine einzige Farm. Diejenigen, die noch nie eine Farm besucht haben, seien die Landschaften Limpopos ans Herz gelegt (danke für Deine Beschreibung, Maxi) oder, nicht weit von der Dimension entfernt, die medialen Ausgestaltungen der Kornkammern US-Amerikas - ich hoffe, ich bin nicht der Einzige, der Heiner Müllers Beschreibungen oder Wim Wenders Filme assoziativ dazugedenkt.

Ridge-View gehörte seitwärts zu dem ehemaligen Farmland und war vermutlich nicht mehr als eine Erhöhung in der Umgebung, auf der hohes Gras wuchs (highveld-typisch) und das Gestein ein Urbarmachen verhinderte. Heute jedoch präsentiert es sich in einer derartig herausgehobenen Wohnlage, die gänzlich unbezahlbar geworden ist. Ich treffe Peter und er wohnt in dieser abgesperrten Straße mit seiner Mutter, die für eine weiße Familie das Haus bestellt. Er lädt mich ein, eine kleine Tour durch die Straße zu machen. Wir sprechen über white inherited wealth, über den Reichtum, der nur von den Eltern an die Kinder weiter gegeben wird, der auch nicht mehr in gleicher Weise durch sie zu erwirtschaften ist, weil sich die sozialpolitischen Rahmenbedingungen drastisch und glücklicherweise verändert haben. Dennoch bleibt der trübe Punkt des sich aufrecht erhaltenden Status: diese Kinder dieser Eltern (weiß und wohlhabend) werden bei geringen Radikalitätstendenzen nichts weiter tun müssen, als das zu verwalten, was bereits da ist. Wie ist der Stadtpalast, die prachtvolle Burg aus Glas, Beton und Stahl auf dem Hügel entstanden? Meine Vermutung: auf dem Rücken der südafrikanischen Mehrheit. Und das ist, wenn man die Minenarbeit bedenkt, wörtlich zu interpretieren.

Natürlich weiß ich nicht, wie diese Häuser explizit zu ihren Besitzern gekommen sind, aber kann ich wirklich von der Unschuldsvermutung ausgehen? In Südafrika?

Peter sagt, dass er gerne etwas mit Musik machte, ein Studio oder ein Label mitgestalten. Allerdings kann er nicht studieren, weil ihm noch das Geld fehlt. Wir sprechen noch ein bisschen über the struggle, zee Germans, Asylpolitik hie und da (Südafrika versus Europa) und verabschieden uns schließlich in freundschaftlicher Manier.


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House of Dreams, 154 Regent, Frontalansicht. 

Die neuesten Neuigkeiten vom House of Dreams sind lokal-historisch atemnehmed: die Freedom Charter wurde (nach mündlicher Quellenlage; durch Lionel Rusty Bernsteins Memoiren wird das nicht bestätigt) in Teilen hier geschrieben und zusammen gefügt. Sie ist der Vorläufer der südafrikanischen Verfassung, sie ist nicht-elitär durch ihren Ansatz, Freiheitsrechte bei denjenigen zu erfragen, die das Volk waren. Die Adresse 154 Regent Street war einst durch die Bernsteins bewohnt: Hilda und Rusty und ihre vier Kinder, Toni, Patrick, Frances, and Keith, lebten und arbeiteten hier.

Es muss ein paar Monate her sein, dass Thotho mit Keith an unserem Zaun sprach. Keith wanderte auf und ab, schien sich das Haus zu begucken und irgendwann wurde jemand auf ihn aufmerksam und schickte Thotho. Nachdem Keith erklärte, warum er so neugierig sei, ließ ihn Thotho ein und zeigte ihm das Innere des Hauses. Keith habe dann gesagt, dass er glücklich über die Nutzung sei, und dass, als er das Haus noch vor ein paar Jahren besuchte, der Verfall vorgeherrscht habe und ihm beinahe das Herz gebrochen sei, als er sein ehemaliges Zuhause in einem solch' jämmerlichen Zustand gesehen habe. Die Geschichte hört da nicht auf: Sophiatown Community Psychological Services wurde von der Heritage Foundation kontaktiert. Diese sagte, dass man eine Gedenktafel anbringen wolle, zur Ehre der Bernsteins. Und in all dem Hin-und-Her-Kontaktieren entstand auch eine Verbindung zu Toni Strasburg, dem ersten Kind der Bernsteins, das in Kapstadt lebt und arbeitet und zu einer Memorial-Lecture an der Wits Universität kam.

Obgleich die Lesung ein architektonisch-gefärbtes, aktuelleres Thema als das der Entstehung der Freedom Charter hatte („Making Slum-Free Cities: Global Urbanism in the Asian Century“), war es dennoch interessant die Art der Vernetzung zu begleiten, die SCPS (ungeprüft) erfolgreich arbeiten lässt. *

Zu Toni Strasburg gesellte sich Barbara Harmel, auch ein Kind einer Aktivistenfamilie, die als Psychologin in Westdene arbeitet und sogleich auf eine künftige Zusammenarbeit hindeutete. Was auch immer dabei heraus kommt, die impliziten, verbindenden Kreise schließen sich explizit.

Im Juni wird die Gedenktafel angebracht und ich steuere auf ein größeres Verständnis für die jüdisch-kommunistische Gemeinschaft der Anti-Apartheid-Aktivisten zu.  


* Meine Vermutung: laut sozialer Konnexionstheorie sei der exekutive Kopf von SCPS ein wesentlicher Knotenpunkt, zu dem übermäßig viele einzelne Kontakte verknüpft sind (graphisch sind dies die auf ihn gerichteten Pfeile). Seine implizite Aufgabe besteht daraus, diese Pfeile wiederum miteinander zu verknüpfen (wenn nicht ohnehin schon eine gewisse Netzwerkdichte und damit Bekanntheit untereinander besteht). Der Akt der Verknüpfung bringt nun wieder neue Kontakte auf - ein Emergenz-Phänomen wird evoziert und durch besonders erfolgreiche Verknüpfungen entsteht Vertrauen, das im psycho-sozialen Kontext eine der prominentesten Rollen spielt. (Ob facebook, twitter oder google+ dazu in der Lage sind, wird derzeit ausprobiert)

UPDATE:



The plaque for the historical site I am living in. 


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2013-05-25

Bericht in Stücken I

Vorlaufendes.

Ich bin dieser Tage nicht gut gestimmt, ich bin traurig. Um ehrlich zu sein, ich habe mir neulich sogar einen halben Tage frei genommen, als ich das Gefühl hatte, nicht einmal mehr mit meinen Kollegen über den Tag kommen zu können, geschweige denn mit Klienten. (Als psycho-sozialer Berater bedeutet Produktivität nicht, dass man stets und ständig verfügbar, sondern präsent ist. Ist diese einzigartige Qualität der psychischen Verausgabung nicht mehr gegeben, ist es besser, aufzuhören, statt weiterzumachen. Das verstehen zwar einige Menschen nicht - vielleicht weil sie noch immer der Vorstellung großer Bürogesellschaften der 1980er Jahre aufsitzen - aber dazu zwinge ich sie auch nicht. Für mich hat die Begründung emotional turmoil mehr Aussagekraft als leichter Kopfschmerz).

Stattdessen half mir die sehr effektive Emotionsbewältigungsstrategie des Skateboardfahrens. Im Prinzip wollte ich allein sein, aber das ging einfach nicht, hier auf den Straßen Joburgs. Ich lernte einen Pennäler kennen, rank und schlank in seiner Schuluniform mit den Abzeichen des Klassensprechers, des Schachclubvorsitzenden und, wie anders, mit dem güldenen Blech für herausragende sportliche Erfolge. Er schwatzte mit mit, ich mit ihm, wir unterhielten uns über Schule und Studium („Man muss doch studieren, wie kann man da jeden Freitag Party machen?“), die Nachbarschaft („Cool hier.“), die dramatische Vergangenheit Yeoville-Bellevues („Das waren turf wars, Mann!, Gangster liefern sich Duelle mit Polizisten!“), über ausreichenden Schlaf (er viereinhalb, ich neun Stunden), über das Skateboardfahren („Welche styles kannst Du mir zeigen?“, „Bist Du schon 'mal auf das schräg-stehende Straßenschild gesprungen?“, „Es ist schon unglaublich, was diese Typen im Fernsehen mit dem Skateboard anstellen können!“), Englisch usf. und vergaßen darüber, warum wir eigentlich aufeinander getroffen waren - Ich, weil ich das powersliden nicht hinbekam, er, weil er nach Hause wollte. Zum Schluss begleitete ich ihn ein Stück des Weges, bis dieser sich für uns beide trennte. Danach hatte ich eine weitere Übung in Yoga (seit ungefähr zwei Monaten von einer Kollegin angeboten und von uns als Hausgemeinschaft äußerst wohlwollend angenommen) - ein anderer, weitaus weniger physisch-risikoreicher Balanceakt, was ihn aber nicht gerade weniger gefährlich macht. Die Kontemplation setzt beinahe automatisch ein, die Gedanken purzeln und während ich noch im halben Lotus krampfe, rinnen mir die Tränen über die Wangen. Ausreichende Konzentration auf basales Atmen beruhigen mich wieder und ich spüre dem Dehnschmerz noch zwei Tage später nach.

Die Gründe zur Traurigkeit erklären sich vielfältig, bei genauerem Hinsehen einseitig. Ich kann da zwischen öffentlich-vielfältig und privat-einseitig gut unterscheiden. Öffentliche Rechtfertigung:
  1. die durchaus als (wind-)schief zu beurteilenden Gefühls- und Lebenslagen meiner Klienten greifen über - sekundäre Traumatisierung und Grenzüberschreitungen - hallo, Ihr Hübschen! 
  2. In absoluten Stunden gemessen, arbeite ich viel; vielleicht Stress und zu wenig Spiel-Raum (Stichwort Skateboard)? 
  3. Meine Verantwortlichkeiten sind enorm gewachsen. Alles, was ich vergesse, verfolgt mich und begegnet mir wieder - frustrierende Erfahrungen wachsen durch die Enttäuschung anderer. 
  4. Der Ausgleich fehlt (Stichwort Spiel-Raum). Ich komme nach Hause, präpariere eine warme Mahlzeit, lese noch ein bisschen oder (häufiger der Fall) kümmere mich um die hausgemeinschaftlichen Notwendigkeiten und gehe erschossen ins Bett. 
  5. Ich bin zu wenig unter Menschen. Das Soziale an meinem Leben beschränkt sich auf die Arbeitskontakte und wird nur manchmal unterbrochen, wenn ich auf der Straße / in der Kaufhalle oder im Café (selten) bin. Die bereichernde Erfahrung der mitgeteilten Perspektive von anderen oder auch das Adressieren von Gedanken an andere bleibt aus. Letzteres ist allerdings eine selbstbestimmte Angelegenheit. 
  6. Und vielleicht noch als Ergänzung: Musik und Tanz. Mir fehlt das Studien-Freitagabend-Ausgeh-Programm (wenngleich ich es nicht immer nutzte - es ging um das bloße Angebot). So ziemlich alles, was Innerstädtisch passiert, ist musikalisch nicht nach meinen Geschmack. Da bleibt dann nur die Kopfhörerdisko im eigenen Zimmer (was nicht einmal annährend ähnliches Erleben produziert, selbst wenn ich versuche, die Lichtquellen schnell an und aus zu schalten).

Um ein bisschen um den privat heißen Brei herum zu reden: es herrscht Stille im Wald der digitalen Kommunikation. Dabei meine ich nicht so sehr meine Eltern (Mama, Papa, Ihr seid unheimlich fürsorglich, wenn es darum geht, für mich da zu sein und das ist in seiner gesamtheitlichen, überbordenden Wirkung etwas von schlecht-zu-verbalisierendem, aber höchstem Stellenwert.); ich meine die tiefen, selbst-bestimmten Beziehungen, die mich ebenfalls auszeichnen und tragen können, die mich stabilisieren oder die mir überhaupt Halt geben.

Was wäre ich ohne die mir zur Verfügung stehende Sprachlichkeit? Elendig gelangweilt. Aber was bin ich ohne den Austausch von Gedanken-welten? Elendig einsam. Und schließlich lande ich bei dem, was mich betrübt - einer gedanklichen Impulslosigkeit, die mich selbst unter der Bettdecke frieren lässt. Ich spiele nicht das name-and-shame-Spiel und ich will das implizite Appell gar nicht. Aber ich spreche von mich bestimmenden Gefühle, die mir seit einer gewissen Zeit tiefes Kopfzerbrechen über den vielen Fragezeichen bereiten (das 'Zerbrechen' ist wörtlich zu nehmen; es beginnt hinter der Stirn und vollzieht sich bis zum Nasen-Wangen-Bereich, streckt sich bei Kälte aus und könnte, glaube ich, wäre ich ein emotionalerer Mensch, durch ausgiebiges Weinen und Weinen und Weinen kuriert werden. Vielleicht).


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2013-05-11

Informality. Again. And Autumn.



Maybe you remember my post about Zamimpilo? The time is just right to remind you about it ...

I spent my day in Braamfontein today and I must say: I was not aware that there is another gentrify-related spot in the city with a sense of community (the other), but now I am (thanks to).

While drinking the morning coffee (there), I browsed through articles concerning the topic of a project series coined "Informal Studio" (this links to the former project in Ruimsig). The Goethe-Institut and the University of Johannesburg cooperation addressed this last year: Marlboro South, a small squatter slip located between Alexandra and Marlboro Gardens, created during Apartheid-heydays as a buffer zone between rich, white suburban and township life (other links: here, here, and here). 50 architecture students were involved in it and tried to experience something the project director called "in-situ upgrading". Over the course of seven weeks they met with residents and documented (photographically, with interviews, with videos, in mapping approaches) how the community is organised, how it 'works', what can be done about it (improved?). 

It is always interesting to read and see how communities develop out of nothing. Marlboro is special, as Ares Kalandides (inpolis) describes (taxi ranks) it in his mini-blog-series about informality (settlements) in (art) and (architecture) around Johannesburg out-of-his (white, european) perspective.

But still: the gap between Braamfontein and Marlboro South or Zamimpilo could not be larger - actually it can be named nearly insurmountable.
Maybe this refers also to my own impressions, f.i. in Hillbrow (as described here). It is not so much the missing infrastructure, because this seems to be a misunderstanding (some residents say, that they would have access [the wide sense] to meet their needs, getting water and electricity for free). It is more a lack of integration. Those fifty students needed to be admitted, to some kind of guidance and guard ("Right of admission reserved"), they needed someone with knowledge to the languages and networks, otherwise they would have been chased out of this area as if every stranger would be a transgressive intruder (what she/he is when you put on your philosophical glasses), as if the area would not be a public space (anymore).

So, how is it possible to live together, even if different in origin and socialisation etc., how to acknowledge differences while tolerate their consequences (materials, electronic devices, access [the wide sense again] through constant jobs)?

The difference starts in everyday life: having a coffee in De Beer Street, having a look over the city (Carlton Centre for starters to gain knowledge of its basic architecture), having more airtime than R5, having supplies at home versus the diametric opposite.

During the afternoon coffee, a flock of kids under ten years of age came to me with a paper list on which I was asked to sign and, after that, donate an amount of money to the Drum Majorettes, so that they can invest in proper uniforms.
I rejected their request, because I found it cruel to send children for money. But if asked about that they said, they are collecting the money because they like their centre where they would have more fun than at their homes. So, what is cruel now? Predicaments, all over.

PS The weather is perfect by now: brisk, chilly nights (temperature drops to 3°C) and warm, windy days (above 20°C) with a sky covered by racing clouds and a low sun which sends out a slow, shivering light, its beams touching the skin only from time to time, which makes Autumn so wonderfully, desirably unsatisfactory.


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