2012-12-29

Skateboarding.

The Iron Fist. 

Das Skateboardfahren ist eine nicht zu unterschätzende Balancekunst und diesen Satz in Gänze nachvollziehen zu können, heißt, bereits auf einem board gestanden zu haben. 

Seitdem ich in meinen Weihnachtsferien verschwunden bin, fahre ich beinahe täglich Skateboard. Spuren sind hinterlassen, auf dem Deck und an meinem Körper. Das Board sieht nicht mehr so aus, wie auf dem Bild dargestellt, einige Kanten sind gesplittert und das grip tape angegriffen. Ellbogenschürfwunden, halbe Handverstauchungen, Schulterhautabrieb, die blauen Flecke an Knien, Schienbeinen, Fußknöcheln - sie zieren mich und ich empfinde sie als Befreiung, als Wiedererleben des so lange nicht Gelebten. Das Fallen gehört zu diesem Sport dazu: es gibt keine Versicherung, es gibt nur das zumutbare Risiko und die Freude, etwas auf diesen vier Rollen angestellt zu haben, was zuvor noch nicht ging. 

Zum Skateboard selbst kam ich über altbekannte Angewohnheiten: das südafrikanische ebay heißt gumtree (und es wurde auch von Kijiji/ebay gekauft, siehe "About us" on gumtree) und ich fahndete nach einem Boardbesitzer, der sein Skateboard abgeben wollte. Ich handelte leicht herunter, traf ihn in einer mall, bezahlte und war fortan skater. 

Ich begann erst einmal damit, mich auf dem Brett wohl zu fühlen (diese Übung hält bis zum heutigen Tage an). Ich probierte verschiedene Straßen aus, suchte nach Plätzen und nach Parks. Ich erkannte schnell, dass das Skateboard das Lokale verlangt und nicht sein Gegenteil, soll heißen: die Straßenecke in 50-metriger Distanz ist die bessere Wahl zum 20 Kilometer fernen Skateboardpark (http://www.reprobait.com/spot-map/). 

An dieser Ecke sammele ich seither Skateboardfreunde: seit meinem Beginn tricksen Jugendliche und junge Erwachsene mit mir herum, ärgern sich über frequente Autofahrer, fallen vom Brett, reinigen ihre Rollen und sprechen über Wert- und Weltvorstellungen, z.B. warum das Christentum ein lifestyle ist und nicht etwa, wie häufig missverstanden, eine Religion. 

Ich genieße das. Alles. Das Lose der Verabredungen, das Nichtorganisierte, das Regellose der Tricks, das kurze Gespräch, die Abwechslung von Selbsttun und Zuschauen, das Finden meiner Balance. 

PS Im Wissen, dass ich nicht zeitlich unbegrenzt Skateboardfahren kann, suche ich, besonders häufig an unbewölkten, heißen Vormittagen, nach Berufen: Ich weiß, dass ich zurück kehren werde nach B., weiß, dass dazu Geld nötig sein wird, weiß, dass ich nicht unbedingt die Tristesse psychosozialer Arbeit will. Was dann? Piece jobs with Johnny Cash on my mind: "Money can't buy back/Your youth when you're old" ("Satisfied Mind"). 

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2012-12-16

Musikalische Gelüste .

Johannesburg, 15. Dezember, Abendstunden, Blick auf das Carlton Centre

Gestern tanzte ich den ganzen Tag lang auf einem Dach in der Innenstadt. Nahe des "Arts-on-Main" Gentrifizierungsdiskurses richtete resident advisor (RA) ein einladendes line-up aus. Selbst der Regen bewirkte kein Desinteresse, die Menschen strömten und tanzten mit mir. 

Ich suchte bereits seit längerer Zeit nach einer solchen Gelegenheit, denn so schön meine Kopfhörerabende sind, so monoton nehmen sie sich aus, wenn keine Alternative zu ihnen besteht. 

Musikalisch erlebte ich Gemischtes. Seth Troxler, der gerade von RA gekürte top DJ 2012 spielte auf, vor ihm und nach ihm die etablierten local residents. Während jener als (hiesig) progressiv eingestuft werden kann, wegen seiner ungewöhnlichen Art, nicht nur die Ohren, sondern den ganzen Körper in Vibration zu versetzen, sind diese meiner Auffassung nach gefangen in dem Begehren ihres Publikums. 

Südafrika liebt house: minimal ist Rarität, nach Nicolas Jaar zu verlangen, ein zu früher Gedanke. Ich kam mit R. ins Gespräch, der seit vier Jahren als DJ in Johannesburg lebt. Er beschrieb, dass elektronische Musik zwar sehr angesagt sei, die Hörvoraussetzungen allerdings völlig anders zu denen in Europas Metropolen seien. Der von Terre Thaemlitz als shitty house (in Midtown 120 Blues, DJ Sprinkles, Mule Musiq) bezeichnete Einsatz von vocals hat hier Hochkunjunktur. Pop-Radio-House-Samples werden in Trommel-Beats gemischt und sind ob ihrer ohnehin starken medialen Verbreitung auf der Tanzfläche populärer als die Neuerungen und Entdeckungen, die ich von jedem DJ als Künstlernatur erwarte. Insofern enttäuschte mich sowohl so manche Publikumseingabe der locals als auch die Rezeption.

Während ich also Seth Troxler aufgeregt zuhörte (mit äußerst sorgsam toilettenpapiergeschützten Innenohren) und mich zu seiner Auswahl bewegte, standen ein paar Menschen einfach nur da. Der Stil sagte ihnen nichts, weil keine Radiosongzeile über den Verlauf einsetzte. 

In über den Abend verteilten, wiederkehrenden Gesprächen mit R. erfuhr ich zudem, dass die Innenstadt keine Orte für elektronische Musik böte und dass dieses gestrige event eine Ausnahme sei. Rosebank, ein reicherer, nördlicher Stadtteil, sei eher geeignet, um Partys zu besuchen, auf denen techno, house, dubstep und weitere musikalische, elektronische Subgenres gespielt würden. 

Ich halte weiter Ausschau und in Erinnerung, dass dieser Abend holistisch grandios war. 

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2012-12-01

Absage an Jahreszeitstrukturen.

Ich bin noch nicht ganz reif für diesen Gedanken, d.h. er ist noch nicht zu Ende gedacht (aber was ist das schon?). Ich begegne einer neuerlichen Veränderung, die sich aber schon über mehrere Jahre anbahnt. Es geht um strukturierende Zeiten und den Umgang mit diesen. Der Anlass zur Frage und zum Gedanken? Die Zeit bewegt sich auf das Ende des Jahres zu, aber ich bin raus aus meiner Gewöhnung, aus meinem Habitat. In meinem bisherigen Leben wurde es kalt zum Jahresende, die Menschen, darunter ich, fanden, dass es Zeit wäre, die Tierpelze aus der Mottenkiste zu holen und sich gegenseitig darüber zu informieren, wie schlecht es um den Tiger, die Luchse im Allgemeinen und einige Schlangenarten stehe. Letzteres konnte man aber nur tun, wenn man in der tropischen Ausgangs- und Eingangsbrise großer Einkaufszentren stand und den Kragen aufschlug. Der in diesen Gesprächen wichtige Türaufhalter, der gleichzeitig als Sicherheitspersonalangestellter fungierte, küsste Luftküsse an die gnädigen Hände älterer Frauen und reichte halbgefüllte Champagnergläser mit Qualitätsschaumwein darin. Überall quellten Kunststoffimitate von Nadelbäumen hervor, Kassiererinnen erkannte man daran, dass sie gezwungen wurden, rot-weiße Pudelmützen zu tragen und ihr Dauerlächeln sogar in die Pausen mitzunehmen. 

Wurde der Schritt aus den Kaufrauschpalästen dieser Welt gemacht, pfiff der Wind eisig und manchmal fiel Kaltnasses unterschiedlicher Dichte auf die lederbespannten Hände und die Designer-Frisur war sofort ruiniert, es trübte sich die gerade noch so schöne Kolonialwarenstimmung und unmäßig viele Schirme, meistens in Alltagsschwarz gehalten, spannten sich ins jeweilige Gesichtsfeld, obwohl nur fünf Schritte zum nächsten Automobil oder zur Untergrundbahn gemacht werden mussten. Die menschliche Fraktion der Weltenretter trug in den Wintermonaten Kleidung nach dem Zwiebelprinzip und verwies jeden, ob interessiert oder nicht, auf den aktuellsten Report der CCC (Link zu Inkota/Kampagne für saubere Kleidung). Hinter vorgehaltener Hand erfuhr man noch, dass einige schreckliche Fauxpas geschehen seien, wegen derer man sich nicht nur schämen, sondern auch zwingend handeln müsse. Marke X sei im Report gut weggekommen, Y allerdings überhaupt nicht, weshalb man nun unbedingt verramsche und neu kaufe: Wer hätte schon vor zwei Jahren gedacht, dass Y unter so schlechten Bedingungen arbeiten lasse. Entrüstung, Empörung, Skandalrufe und schließlich der gereckte freundliche Daumen anstelle des Händedrucks. 

Wenn all diese Zeichen auch fehlgedeutet und als Ausdrücke anderer Visionen interpretiert werden konnten, so entging dem sensiblen Betrachter nicht, dass Glühwein- und Zuckergerüche die hell geschmückten und überstrahlenden Plätze der Städte durchzogen und Kindergeschrei die anwesenden Eltern darauf aufmerksam zu machen versuchte, dass ein oder zwei Kirmesgeräte doch der Besichtigung und des Ausprobierens wert waren. Und wenn das eben nicht ging, weil das schöne Geld bereits in die Nikolaus- und Weihnachtsgeschenke geflossen war, die von charmant-betrügenden Verkaufsdamen den Vätern als wertvoll angepriesen und verkauft wurden, dann gab es eben gebrannte Mandeln als Ersatz, Zuckerwatte zur Vor-, Lebkuchenherzen als Haupt- und weißchoklierte Äpfel als Nachspeise. 

In solchen perzeptiv-überdeutlichen Momenten wurde mir meistens schlecht. Dann erinnerte ich mich, welche Besorgungen ich noch zu machen hatte und schnellte mit finsterer, gefrorener Miene zurück ins warme Flimmern ungefilterter Weihnachtlichkeit. 

Alles anders hier? Nein, das ist es nicht, prinzipiell spielt sich alles auf mich perplex zurück lassende Weise ähnlich ab, allein die Temperaturen veranlassen zu anderen Umgangsarten. Flipflops statt Stiefeletten. Knallige Shorts statt wattierten Hosen. Unterhemd statt Daunenjacke. Und doch der gleiche gierige Blick, die gleiche Einkaufszentrenverstopfung, der gleiche Kaufzwang für alle. 

Ich stehe minutenlang einfach da und fühle, bis auf mein Unverständnis, nichts. Mich geht nichts an. Die Entfremdung vielleicht. Aber die kenne ich schon. 

Ich erinnere mich, wie ich bereits zuvor die Regularitäten durchbrochen habe. Was bedeutet ein Wochenende während der Studienzeit, wenn an jedem Tag das Gleiche verlangt wird? Der Einkauf von Nahrung kann jederzeit geschehen, die Bibliothek hat 16 Stunden offen und die meisten Materialien sind allgegenwärtig und digital verfügbar. Die Bestimmung meiner eigenen Zeitlichkeit kannte keine Grenzen bis auf meine biologischen - ich lebte im Zeitwohlstand. Und ich lebe ihn noch (Link zum Editorial der bpb-Broschüre "Zeitverwendung"). Was bedeutet eine Jahreszeit, wenn es keinerlei klimatische Schwankung gibt? Was bedeutet ein künstliches, areligiös gewordenes Fest, dessen Leere nur noch mit Geschenken gefüllt werden soll? Was bedeutet der Wechsel von Jahren, wenn jederzeit die höhepunktartigen Feierlichkeiten stimuliert und erlebt werden können? 

Viel Sonne, manchmal Regen, selten das Grau der Wolken, das mir am ehesten zuspricht. 

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